Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Dorf in der Marsch

Das Dorf in der Marsch

Titel: Das Dorf in der Marsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
Vom Netzwerk:
friedlich da. Hier, hinterm Deich, war die Welt noch in Ordnung. Vordergründig, dachte Christoph sarkastisch. Er sah sich um. Niemand beobachtete sie. Währenddessen hatte sich Große Jäger vor der Tür niedergekniet und fingerte am Sicherheitsschloss herum. Christoph sah nicht zu. Es gab Dinge, die er sich nicht aneignen wollte.
    Kurz darauf schwang die Tür auf. Nur wenig Licht fiel in den Raum, der früher als Garage genutzt wurde und deshalb fensterlos war. Bis auf einen schmalen Streifen lag alles in einem diffusen Halbdunkel. Es roch. Eine gefühlte Million Fliegen schreckte auf und sirrte um ihre Köpfe. Angewidert schlug Christoph nach ihnen. Er hätte es als ekelhaft empfunden, wenn sich eine von ihnen auf seiner Haut niedergelassen hätte. Gebannt starrten beide auf den schwarzroten Fleck, der sich auf dem Fußboden ausgebreitet hatte.
    Langsam beruhigten sich die Insekten und ließen sich wieder auf dem nieder, was früher einmal der Kopf eines Menschen gewesen war.
    Die beiden Polizisten sahen auf die zusammengekrümmte Gestalt, die beim Sturz auch noch Verpackungen mit Kleinteilen mitgerissen hatte. Der rechte Arm war erhoben, als hätte der Mann noch versucht, seinen Kopf zu schützen. Vergeblich. Jemand hatte wie wild auf ihn eingeschlagen. Nicht nur einmal, sondern immer wieder.
    Â»Wer hätte das gedacht?«, murmelte der Oberkommissar. »Da jagen wir über ganz Eiderstedt, und er liegt vor unseren Füßen.«
    Â»Moment«, unterbrach ihn Christoph und beugte sich über den Leichnam, ohne dabei Spuren zu verwischen. »Schalte das Licht ein.«
    Große Jäger fischte einen Kugelschreiber aus seiner Lederweste und drückte auf den Kippschalter. Die Lampe knackte, flackerte und sprang schließlich an. Kaltes Neonlicht erleuchtete die Szene.
    Â»Das ist wie auf einer Schlachtbank«, stellte Große Jäger fest.
    Christoph versuchte unterdessen, das Opfer in Augenschein zu nehmen.
    Â»Fass mal mit an«, forderte er den Oberkommissar auf. Vorsichtig zupften sie an dem schmuddeligen Pullover, der an den Ellenbogen durchgescheuert war, und zogen den Arm hervor, der unter dem Körper verborgen lag.
    Â»Der liegt schon länger hier«, stellte Große Jäger fest. »Die Leichenstarre ist nicht mehr vorhanden. Ich schätze …«
    Â»Seit Montagvormittag. Also achtundvierzig Stunden«, fiel ihm Christoph ins Wort und wies auf die Hand. Die Fingernägel waren ungepflegt, mit schwarzen Rändern versehen und eingerissen. Deutlich zeichneten sich Nikotinflecken ab.
    Â»Alle da«, stellte Große Jäger lapidar fest. Es waren fünf Finger.
    Gemeinsam zupften sie am zweiten Arm, dessen Hand unter dem Kopf lag. Wild flog der Fliegenschwarm auf, als die Hand unter dem zerschmetterten Kopf hervorkam. Sie sahen auf die Hand, die Finger.
    Â»Was geht hier vor?«, fragte Christoph laut.
    Â»Das möchte ich auch gern wissen«, fügte Große Jäger an. Der Tote hatte alle Finger an dieser Hand.
    Â»Wer ist das? Und wem gehört der Finger in der Biogasanlage?«, fragte Christoph laut. »Bei dem Zustand der Leiche können wir nicht einmal ein Foto machen und den Dorfbewohnern zeigen. So, wie der hier zugerichtet ist …«
    Christoph zog trotzdem sein Smartphone hervor und schoss eine Reihe von Aufnahmen, darunter auch welche, die sich auf die Kleidung konzentrierten, auf der keine Blutflecken zu erkennen waren.
    Â»Aha«, sagte Große Jäger und zeigte auf eine Wand. Dort war eine große Lochwand angeschraubt, an der sorgfältig ausgerichtet Werkzeuge hingen. Damit alles am richtigen Platz deponiert werden konnte, waren auf der Lochwand die Silhouetten der Gegenstände aufgezeichnet.
    Â»Was macht ein Elektriker mit einer großen Rohrzange?«, fragte Große Jäger.
    Â»Ich stelle mir vor, dass er die für den Anschluss von Waschmaschinen, Boilern und ähnlichen Geräten benötigt. Zum Beispiel auch für Geschirrspüler.«
    Â»Kann sein«, stimmte der Oberkommissar zu und sah sich um. »Die ist nirgends zu sehen. Wenn die Abbildung zutrifft, ist die Zange ein richtiger Kawenzmann. Könnte sie das Tatwerkzeug sein?«
    Â»Denkbar. Aber wer schlägt zu und nimmt die Tatwaffe mit? Dass der Täter sich eines zufällig vorhandenen Werkzeugs bedient, zeugt davon, dass die Tat nicht geplant war. Aber das Werkzeug mitzunehmen … Das deutet

Weitere Kostenlose Bücher