Das Dorf in der Marsch
auf eine gewisse Kaltblütigkeit hin.«
»Oder Konfusion«, gab GroÃe Jäger zu bedenken, bevor er sich umdrehte und die Werkstatt verlieÃ.
Christoph hörte ihn telefonieren. Zu gern hätte er sich umgesehen, die Taschen des Toten geleert, die Hände und Arme nach Abwehrverletzungen untersucht, aber er wollte der Spurensicherung nicht vorgreifen.
Er folgte GroÃe Jäger ins Freie und sog die frische Seeluft tief in die Lungen, als müsse er sie bis in die Spitzen auslüften. Plötzlich stutzte er und kehrte noch einmal in den Raum zurück. Fast hätte er es übersehen. Neben der Werkbank lagen eine blaue Arbeitshose und eine gleichfarbige Jacke. Auf der Brusttasche war ein gelber Pfeil gestickt. Darunter stand der Schriftzug: Elektro-Witte-Meisterbetrieb. Doch nicht das interessierte Christoph, sondern das Blut, mit dem die Montur getränkt war. Er hatte keinen Zweifel, dass Michel Witte mit diesem Arbeitsanzug auf Montage gewesen war.
Nach Michelsens Aussage hatte sich Witte beim Ãffnen der Schuppentür mit der Axt verletzt. Dann war der Elektriker nach Hause gefahren und hatte versucht, das Blut zu stoppen und sich zu reinigen. Hiervon zeugte das Handtuch. Die ebenfalls in Mitleidenschaft gezogene Arbeitskleidung musste Witte in der Werkstatt entsorgt haben. Aber was war dann geschehen?
Es war immer noch unklar, wem der Ringfinger gehörte. Hatte Witte bei sich zu Hause eine weitere Auseinandersetzung gehabt und das Opfer, das sie in der Werkstatt gefunden hatten, dabei getötet? Das könnte der Grund dafür sein, weshalb sich Witte trotz der schweren Verletzung nicht in ärztliche Behandlung begab und versteckt hielt. Wo konnte der Mann sein?
GroÃe Jäger kehrte zurück und tippte sich an die Stirn.
»Die haben mich gefragt, ob ich nicht ganz dicht bin. Kiel ist im Einsatz. Die sind unabkömmlich. Jetzt rollt die Spurensicherung aus Lübeck an. Fehlt nur noch, dass der Innenminister ein offizielles temporäres Leichenfundverbot für uns Husumer ausspricht. Mehr Ressourcen haben wir nicht mehr in Schleswig-Holstein. Sonst müssten wir Amtshilfe aus Hamburg, Frankfurt oder Kopenhagen anfordern.«
Christoph berichtete von seiner Entdeckung und der darauf fuÃenden Vermutung.
»Da ist etwas dran«, pflichtete ihm der Oberkommissar bei.
Sie wurden durch Schritte abgelenkt, die sich näherten. Gesine Witte schleppte sich in ihre Richtung.
»Haben Sie etwas gefunden?«, fragte sie matt.
Christoph lief ihr entgegen, breitete die Arme aus und fasste sie vorsichtig an den Schultern. Sie leistete keinen Widerstand, als er sie umdrehte und Richtung Wohnhaus zurückschob.
»Was ist da?«
»Etwas, das die Polizei interessiert.«
»Michel?« Ihre Stimme vibrierte.
»Wenn Ihr Mann sich für eine Weile zurückziehen möchte ⦠Wo würde das sein? Haben Sie ein Ferienhaus?«
»Ich verstehe nicht. Wieso zurückziehen? Das heiÃt, Sie haben Michel nicht in der Werkstatt â¦Â« Sie sprach es nicht aus.
»Es sieht nicht so aus«, sagte Christoph vage.
Gesine Witte verstand nur, dass Christoph nicht »es ist Ihr Mann« gesagt hatte. Die Anspannung schien von ihr abzufallen.
Christoph erinnerte sie an seine Frage. »Haben Sie Verwandte? Familie? Gute Freunde?«
Die Frau starrte nur auf ihre Finger. »Bitte?«, fragte sie geistesabwesend.
Geduldig wiederholte Christoph sein Anliegen.
»Doch. Ja.«
»Können Sie mir Namen und Adresse geben?«, bat Christoph.
»Ja.« Dann schwieg sie.
Er lieà ihr Zeit, bevor er eindringlicher sagte: »Sie wollten mir ein paar Namen und Adressen nennen.«
Gesine Witte drehte den Kopf in seine Richtung. Dennoch sah sie durch ihn hindurch.
»Ich weià es nicht«, sagte sie kaum wahrnehmbar. Sie wurden durch GroÃe Jäger abgelenkt, der erschien und nach dem Autoschlüssel für den Firmenwagen fragte.
»Am Schlüsselbrett müsste einer hängen.« Müde hob sie ihren rechten Arm um wenige Zentimeter in die Höhe.
Nachdem der Oberkommissar wieder verschwunden war, räusperte sich Christoph.
»Können Sie mir eine Kundenliste ausdrucken?«
Sie sah Christoph mit fragendem Blick an, stand aber wortlos auf. Er folgte ihr ins Büro. Routiniert startete Gesine Witte den Computer und tätigte ein paar Eingaben. Wenig später spuckte der Drucker eine Liste aus. Dann kehrten sie in
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