Das Dorf in der Marsch
einen echt guten Draht zu Kindern.«
»Jungs oder Mädchen?«
»Kinder. Egal, ob Junge oder Mädchen. Mein Vater spielt auch mit Mädchen FuÃball. Er ist in dieser Hinsicht voll emanzipiert.«
»Blieb zwischen Beruf, Familie und politischem Amt noch Zeit für die Verwaltung des Familienvermögens?«, wollte Christoph wissen.
Lena Witte starrte ihn fragend an.
»Welches Vermögen?«
»Zum Beispiel die Grundstücke?«
Sie entspannte sich. »Ach, die paar Wiesen.« Dann zuckte sie die Schultern. »Keine Ahnung. Darum habe ich mich nie gekümmert.«
»War das Aufgabe Ihrer Mutter?«
Jetzt schüttelte sie heftig den Kopf. »Das macht Papa ganz allein. Um all diese Dinge kümmert nur er sich.« Plötzlich schien ihr etwas Wichtiges einzufallen. »Sagen Sie mir endlich, wo er steckt? Er muss doch nach Hause kommen.« Sie zeigte auf den FuÃboden. »Solange Mama nicht da ist, muss sich doch jemand um die Dinge kümmern. Wer soll nach meinem Bruder gucken? Die Wäsche machen? Der Kühlschrank wird auch leerer. Wo steckt er nur?« Die letzte Frage brachte sie trotzig vor, fast wie ein kleines Kind. »Er soll machen, dass er hier eintrudelt.«
Christoph fiel es schwer, sich nichts anmerken zu lassen. Er erinnerte Lena Witte noch einmal an die Liste mit den Namen der Verwandten und Freunde.
»Da hab ich kein Nerv für. Das kann doch Papa machen, wenn er wieder da ist«, sagte sie. »Ich bin echt durch den Wind geschossen.«
»Sie dürfen sich jederzeit bei uns melden«, bot ihr Christoph zum Abschied an.
»Das sollen meine Eltern machen«, sagte sie.
Christoph atmete tief durch, als sie zum Volvo zurückkehrten.
»Das ist jetzt schon schlecht um die Familie bestellt«, sagte er. »Wir haben Widersprüchliches über Witte gehört. Ist er jähzornig? Aufbrausend? Oder waren seine Wutausbrüche nur Reaktionen auf unglückliche Umstände? SchlieÃlich wurde ihm auch viel zugemutet. Ist etwas wahr an dem Gerücht, dass er sich in nicht angemessener Weise Kindern genähert hat? Stört jemanden das kommunalpolitische Engagement des Elektrikers, oder geht es schlicht um seine Frau?«
»Das sind die Fragen, die auch mich beschäftigen«, pflichtete GroÃe Jäger ihm bei und fasste sich an die Stirn. »Wer wirft einen abgehackten Finger in den Fermenter? Gut â wenn es ein Unfall war, aber entsorgt man dann auch den Ehering?«
Christoph hielt inne und blieb stehen.
»Der Ehering! Wenn Witte wirklich übertrieben jähzornig war und sich vom Ehering als Symbol trennen wollte, ihn aber nicht vom Finger abbekam ⦠Kann ein Mensch so weit gehen, dass er Selbstverstümmelung betreibt? SchlieÃlich stand er voll im Stress. Die Auseinandersetzung mit Michelsen, eventuell hat Michelsen gedroht, Wittes Hinwendung zu Kindern an die groÃe Glocke zu hängen, all das kann zu einem unkontrollierbaren Zustand führen.«
GroÃe Jäger wiegte nachdenklich den Kopf. »Sicher wird Witte mit Stresshormonen bis unter die Haarspitzen vollgepumpt gewesen sein. Dann verprügelt man seine Ehefrau, die Kinder, den Hund oder jemanden, der zufällig des Weges kommt, aber man hackt sich nicht den Finger ab.«
»Den Ring finger«, präzisierte Christoph.
»Trotzdem â¦Â«
»Nicht selten treiben auÃergewöhnliche Situationen labile Menschen in den Suizid. Ist es da so abwegig, an eine selbst herbeigeführte Verletzung wie diese zu denken?«
»Unmöglich ist gar nichts, wenn Menschen beteiligt sind«, meinte der Oberkommissar. »Wir sollten â¦Â«
»Das habe ich auch vorgehabt«, unterbrach ihn Christoph.
EINUNDZWANZIG
Sie fuhren erneut zum Reimersâschen Hof. Der Volvo rollte noch, als Jürgensen ihr Kommen entdeckte und ihnen entgegenlief.
»Was hat unser zweibeiniger Spürhund?«, fragte GroÃe Jäger, bevor sie das Auto verlieÃen. Laut fuhr er fort: »Na, Klaus? Deine permanente Erkältung? Kommst du, um zu fragen, ob noch jemand Papiertaschentücher für dich hat?«
Der Hauptkommissar ging nicht auf den Anwurf ein. »Wir haben etwas gefunden«, sagte er. Stolz schwang in seiner Stimme mit.
»Was?«, kam es wie im Chor von Christoph und GroÃe Jäger.
Jürgensen klang ein wenig atemlos. »Ein Stück Knochen. Könnte vom Becken stammen. AuÃerdem einen
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