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Das Dorf in der Marsch

Das Dorf in der Marsch

Titel: Das Dorf in der Marsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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Teufelskreis einbezogen haben?«
    Â»Ich bin nicht für die Promiskuität der Dorfbevölkerung verantwortlich.«
    Christoph war entsetzt über so viel Kaltschnäuzigkeit. Wenn eine Frau, die in einer Partnerschaft lebte, Gaultiers Versuchungen erlegen war, bedeutete das zwar einen Fehltritt, aber noch lange kein ausschweifendes Sexualleben mit häufig wechselnden Partnern. So schätzte er die Frauen aus Everschopkoog nicht ein.
    Â»Warum können andere Leute nicht auch diskret sein?«, fragte Gaultier. »Böhner war bei mir und hat mich angeschnorrt. Er wisse um etwas sehr Wichtiges und Intimes. Für eine Flasche Fusel hat er es verraten. Wychzek kann nicht mehr. Er ist impotent. Fragen Sie mich nicht, woher Böhner das wusste. Vielleicht hat er bei seinen Streifzügen durch die Gärten des Dorfes am Schlafzimmerfenster gelauscht. Hier bei mir habe ich ihn auch gelegentlich erwischt, wie der alte Spanner sich an anderer Leute Lust aufgeilen wollte.«
    Christoph unterließ es, Gaultier darüber aufzuklären, dass Böhner das Postgeheimnis gebrochen hatte.
    Â»Haben Sie sich auch an diesem persönlichen Unglück Wychzeks erheitern können?«, wollte Christoph wissen. »Oder wie haben Sie daraus Kapital geschlagen?«
    Â»Ich doch nicht persönlich. Da verfrachtet der Frührentner Wychzek eine lebenslustige Frau in diese Einöde hinterm Deich. Hier gibt es doch nichts außer Natur und dem ZDF . Abwechslung finden Sie hier kaum. Was machen Männer, wenn ihre Frauen nicht mehr können? Die fahren ins Bordell. Und Frauen?«
    Â»Die kommen zu Ihnen?«, riet Christoph.
    Gaultier nickte. Auf seinem eingefallenen Gesicht zeigte sich ein schmierig wirkendes Lächeln.
    Â»Sie haben sich an Bärbel Lattmann herangemacht.«
    Noch immer stand das Lächeln auf Gaultiers Antlitz.
    Â»Das war nicht schwierig. Halten Sie jemandem, der gerade die Wüste durchquert hat, einen Becher frisches kühles Wasser hin. Meinen Sie, der verschüttet es? Es wäre doch schade, wenn eine so lebenslustige und attraktive Frau wie Bärbel hier versauern müsste. Abgesehen davon, sollte mir Wychzek dankbar sein. Ich habe ihm doch nichts weggenommen. Nur mal so – rein hypothetisch: Wenn Bärbel weiter durstig geblieben wäre, bestünde doch die Gefahr, dass sie Wychzek verlässt. Das würde ihn wirklich treffen. Die Hütte hinterm Deich, in der alle Ersparnisse stecken, die Brücken hinter sich abgebrochen und keine Baupläne, um hier Neues zu errichten … Das ist eine emotionale Sackgasse. Warum war Wychzek so versessen darauf, sich politisch zu betätigen? Er hat sicher den gleichen Ehrgeiz wie Witte, aber das falsche Thema. Und Witte, mag er dumm sein wie sonst was, steht ihm im Wege. Keiner will Wychzek als Bürgermeister. Vielleicht klappt es, wenn Witte weg ist.«
    Christoph schüttelte unwillkürlich den Kopf. Konnte hier das Motiv liegen? Doch wie passte die Ermordung von Böhner ins Bild?
    Â»Lesen Sie manchmal Zeitung?«, fuhr Gaultier fort. »Drüben, auf der anderen Seite des Heverstroms, ist mitten in der Legislaturperiode der verdienstvolle Bürgermeister verstorben. Über alle Parteigrenzen hinweg hat man einstimmig seinen Stellvertreter zum Nachfolger gewählt.«
    Â»Ja – so funktioniert das bei uns auf Nordstrand«, sagte Christoph versonnen. »Und mit diesem Beispiel wollen Sie mir erklären, dass dies hier in Everschopkoog nicht möglich ist. Hier herrscht Hauen und Stechen.«
    Â»So ist es«, stimmte Gaultier zu.
    Große Jäger rückte ein wenig dichter an den Maler heran.
    Â»Nun möchte ich wissen, ob Sie nicht doch mit der Information über Dinge hausieren gegangen sind, die Böhner Ihnen zugetragen hat oder die Ihnen Damen des Ortes im Liebesrausch ins Ohr geflüstert haben. Und da wir schon einmal bei Offenbarungen sind, können Sie auch gleich berichten, wo Sie am Montag waren, nachdem Sie von Ihrem Freund Stiefel aus Husum zurückgekehrt sind. Also?«
    Große Jäger zückte den abgegriffenen Lederkalender aus seiner Gesäßtasche. Es musste ein Jahrgang Ende des letzten Jahrhunderts sein. Der Oberkommissar war überzeugt, dass Zeugen oder Verdächtige eingeschüchtert würden, wenn »die Polizei etwas notierte«. Das machte Eindruck auf das Gegenüber, selbst wenn Große Jäger dort noch nie etwas

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