Das Dorf in der Marsch
Wirbelknochen. Ich bin kein Pathologe, daher weià ich nicht, aus welchem Teil der Wirbelsäule, zumal es nur ein Bruchstück ist. Ein Querfortsatz ist noch relativ gut erhalten, der zweite abgebrochen. Dafür ist der Dornfortsatz erkenntlich. Ich würde vermuten, dass es ein Brustwirbel ist. Ach ja â einen Zahn haben wir auch herausgefiltert.«
Christoph warf GroÃe Jäger einen Blick zu. Aus dessen Mimik sah er, dass der Oberkommissar den gleichen Gedanken hatte. Im Fermenter war ein ganzer Mensch verschwunden. So viele Zufälle gab es nicht.
»Könnte jemand einen Tierkörper entsorgt haben? Habt ihr schon den Bauern danach gefragt?«
Jürgensen maà Christoph mit einem langen enttäuschten Blick. »Es gibt ja viele verrückte Dinge, die Menschen für ihre vierbeinigen Begleiter machen, aber einen Hund oder eine Katze mit einer Goldfüllung im Zahn?«
Es war eine kleine Hoffnung, an die Christoph sich geklammert hatte. Noch gab es keine Beweise, aber alles deutete darauf hin, dass sie Michael Witte gefunden hatten. Zumindest den Hinweis darauf, wo er geblieben war.
Christoph schüttelte sich instinktiv und sah zur Einfüllvorrichtung der Anlage. Nein! Einen Unfall konnte man ausschlieÃen. Es gab für Witte keinen Grund, am helllichten Tag dort oben herumzuturnen, ohne dass Reimers darüber informiert war.
Der Bauer hätte sofort die Anlage abgeschaltet, bevor das Opfer in die Nähe der alles zerstörenden scharfen Messer gelangt wäre. Das wäre eine normale Reaktion gewesen. Aber handelte ein Vater so, wenn er einen bösen Verdacht hegte, wenn er von dem Gedanken beseelt war, der Unglückliche im Feststoffeintrag könnte sich in widerwärtiger Weise seinem Sohn genähert haben?
Wenn es kein Unfall war â wer hatte Witte dann dort oben hineingeworfen? Lebte Witte noch, und war er unter unbeschreiblichen Qualen ums Leben gekommen? Oder wollte jemand den toten Witte entsorgen? Was für eine Vokabel, schalt Christoph sich selbst.
»Wir sollten jemanden in Wittes Haus schicken«, schlug Christoph vor. »Der sollte dort Fingerabdrücke sichern, die wir mit denen vom zuerst gefundenen Körperglied vergleichen können.«
Er wusste, dass diese Auswertung nur beim Landeskriminalamt in Kiel stattfinden konnte. Dort gab es die Experten für Daktyloskopie, die eine solche MaÃnahme durchführen konnten.
Jürgensen sicherte es zu.
»AuÃerdem ist Dr. Hinrichsen kurz hier gewesen«, ergänzte der Spurensicherer noch. »Wir haben ihm die Fotos gezeigt. Euer Doktor hat gemeint, dass an der Trennfläche des Fingers kein sauberer Schnitt zu erkennen ist. Nichts deute auf ein Messer oder gar ein Skalpell hin, auch nicht auf eine glatte Abtrennung wie zum Beispiel mit einem Beilhieb. Dafür war es zu â wie sagte er? â zerfleddert. Man muss es sich so vorstellen, als wenn jemand mit einer groben Säge â¦Â«
»Ist gut, Klaus«, unterbrach ihn GroÃe Jäger. »Wir werden das zur rechten Zeit ausführlich im Bericht der Rechtsmedizin wiederfinden.«
Christoph reichte es ebenfalls. Er stellte sich nach der Beschreibung von Reimers die rotierenden Messer vor. Wichtig war die Anmerkung dennoch. Sie war ein weiterer Beweis dafür, was hier geschehen war. Trotz aller Zweifel, die ihn zwischendurch immer wieder geplagt hatten, war der immense Aufwand, den sie hier betrieben, gerechtfertigt. Durfte man überhaupt wirtschaftliche Betrachtungen anstellen, wenn es um ein Menschenleben ging?, dachte er bitter. Leider gab es solche Ãberlegungen, sonst würde man nicht verwerfliche Diskussionen darüber führen, bis zu welchem Alter es sich »lohnen würde«, bestimmte Operationen durchzuführen.
»Wir sollten die Ergebnisse für uns behalten«, sagte Christoph. »Die Familie Witte hat schon viel Leid erdulden müssen. Ich möchte nicht, dass irgendein Klatschmaul in epischer Breite Spekulationen über Witte und sein mutmaÃliches Ende unter die Leute bringt.«
»Michael Witte war nicht sehr beliebt im Ort«, stellte GroÃe Jäger fest.
Christoph runzelte die Stirn. »Das würde ich so nicht bestätigen. Er war keine Integrationsfigur und hatte die Gabe, in aufgestellte Fettnäpfchen hineinzutreten. Er wollte zeigen, dass er unabhängig und überparteilich ist und sich nicht von irgendeiner Seite vereinnahmen
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