Das Dorf in der Marsch
Wahrheit«, rief er schlieÃlich. »Ich muss besoffen gewesen sein, als das alles passiert ist.«
»Sie meinen, Sie wollten Witte nicht erschlagen«, baute ihm Christoph eine Brücke.
»Ja. So ist es. Mir ist der Faden gerissen.«
Erneut herrschte eine Weile Stille.
»Wo haben Sie Witte gelassen?«, fragte GroÃe Jäger schlieÃlich.
Michelsen unterbrach seine Wanderung.
»Woher soll ich das wissen?«
»Uns interessiert, wo Sie die Leiche deponiert haben, nachdem Sie Witte getötet hatten.«
Der Mann blieb stehen.
»Witte getötet? Wieso denn? Ich? Das ist doch lachhaft.«
»Sie haben doch eben gestanden, Witte mit der Axt niedergeschlagen zu haben.« Christoph sprach leise.
Michelsen starrte Christoph mit blutunterlaufenen Augen an. Es lag fast etwas Irres in diesem Blick. Dann holte er tief Luft. Seine Augen wanderten im Raum umher. Christoph bemerkte die Spannung, die sich aufbaute. Er wollte hochspringen, aber Michelsen war schneller. Mit einem Satz erreichte der Mann die Tür und schlug sie hinter sich zu. GroÃe Jäger versuchte ebenso wie Christoph, hinterherzueilen. Das ungestüme Vorwärtspreschen des Oberkommissars behinderte beide an der Tür. Als sie schlieÃlich die AuÃentür erreichten, überquerte Michelsen den Hofplatz und lief zur rückwärtigen Grundstücksgrenze.
»Halt!«, rief Christoph. »Bleiben Sie stehen.«
Dadurch wurden die beiden uniformierten Beamten aufmerksam und versuchten, Michelsen den Weg abzuschneiden.
Christoph war als Erster am Ende der Wiese. Hinter dem Haus lief ein Weg entlang, von dem es zu anderen Grundstücken abging. Michelsen rannte in einer der Fahrspuren, die in der Mitte durch einen Grünstreifen getrennt waren. Christoph versuchte mit weit ausholenden Schritten, dem Mann zu folgen. GroÃe Jägers Keuchen in seinem Rücken war nicht mehr zu hören. Der Oberkommissar war nur ein kurzes Stück hinterhergehastet und hatte sehr schnell die Sinnlosigkeit seines Tuns erkannt.
Sosehr Christoph sich auch anstrengte, die Distanz zu Michelsen verringerte sich nicht. Neben ihm tauchte ein Schatten auf, und einer der Streifenbeamten überholte Christoph. Mit langen Sätzen sprintete er dem Flüchtenden hinterher.
Michelsen hatte den Knick am Ende der Siedlung erreicht. Insgesamt waren sie vielleicht einhundert Meter gelaufen, als Michelsen mit den Armen ruderte und scharf nach rechts abbog. Er setzte seine Flucht auf dem Randstreifen eines Feldes fort. Christophs Lungen rasselten. Er spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug. Wie hatte es GroÃe Jäger einmal ausgedrückt? »Hinterherlaufen ist nicht mehr meine Aufgabe.«
Das traf allmählich auch auf ihn selbst zu.
Ein weiterer Knick begrenzte das Feld nach etwa hundert Metern. Hier verzögerte Michelsen sein Tempo. Ihn trennten nur noch wenige Meter von dem uniformierten Polizisten, der ihn wie ein Raubtier von hinten ansprang. Beide kamen zu Fall, aber der Beamte reagierte schneller und fixierte Michelsen mit routiniertem Griff auf dem Boden. Dann hatte Christoph die Stelle erreicht. Er rang nach Luft; auch Michelsen keuchte atemlos.
»Hab dich«, sagte der Kollege von der Streife und legte dem Mann Einmalfesseln an. Dann sah er Christoph fragend an.
»Wir nehmen Sönke Michelsen mit nach Husum«, sagte Christoph. Sein Atem ging immer noch stoÃweise.
»Warum denn?«, fragte Michelsen, der mit Hilfe des Polizisten wieder auf die Beine gekommen war.
Christoph ersparte sich eine Antwort.
Gemeinsam trotteten sie den Weg zurück. An der Weggabelung erwarteten sie GroÃe Jäger und der zweite Streifenpolizist. Der Oberkommissar griente. Er hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt.
»Das habe ich auch schon mal schneller gesehen«, lästerte er.
»Im Unterschied zu dir bin ich hinterhergerannt«, erklärte Christoph.
»Ich wollte dir nicht das Erfolgserlebnis streitig machen«, sagte GroÃe Jäger lachend. »Das hätte dich sonst frustriert, wenn ich dich auch noch überholt hätte.«
Sie überlieÃen Michelsen der Streifenwagenbesatzung, nachdem Christoph eingewilligt hatte, dass der Mann unter Aufsicht ein paar persönliche Dinge zusammenpacken durfte.
ZWANZIG
GroÃe Jäger war dankbar, als sie zum kleinen Restaurant am Tetenbüllspiekerhafen fuhren. Christoph war überzeugt, dass der Oberkommissar die
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