Das Dorf in der Marsch
Currywurst mit Pommes gegen kein mehrgängiges Menü eines Sternekochs getauscht hätte. Gierig verschlang er das Essen.
»Noch ein paar Minuten später und ich wäre ein Totalausfall geworden«, erklärte er dabei.
Christoph lieà ihm auch noch Zeit, das Essen mit einer seiner geliebten Zigaretten zu krönen. Danach suchten sie das Haus der Familie Witte auf. Dort wurden sie von der ratlosen und mit der Situation überforderten Tochter empfangen.
»Ich weià gar nicht mehr, was los ist«, sagte Lena Witte und hatte Schwierigkeiten, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. »Wo ist mein Vater?«
Christoph erkundigte sich zunächst, wo sich die Mutter befand.
»Die ist in Husum«, sagte die junge Frau. »Was haben wir gemacht, dass das alles über uns hereingebrochen ist?« Sie begann, leise zu weinen.
»Wie geht es Ihrer Mutter?«, fragte GroÃe Jäger mit einfühlsamer Stimme.
»Beschissen«, antwortete sie knapp.
»Können Sie uns eine Aufstellung mit Namen von Verwandten und Freunden geben?«, bat Christoph.
»Ja, aber nicht jetzt.« Sie wischte sich mit der Hand durch das Gesicht. »Ich bin völlig durch den Wind.«
Christoph versuchte, ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter zu legen, aber sie wich aus.
»Nicht. Ich will das nicht.«
Es war ein Spagat zwischen der Notwendigkeit, alle Aspekte bei den Ermittlungen zu berücksichtigen, und der Kunst, dabei nicht blindlings im Interesse der Aufklärung menschliche Seelen zu zerstören.
»Ist Ihr Vater ein guter Vater?«, fragte Christoph. Er wählte bewusst die Gegenwartsform, um nicht im Unterbewusstsein der jungen Frau weitere Ãngste zu schüren.
»Wie soll ich das beantworten?« Sie war unsicher. Ihr war anzumerken, dass sie überlegte, was die Polizei hören wollte.
»Hat er sich mit Ihnen und Ihrem Bruder beschäftigt? Mit Ihnen gespielt? Gesprochen? Sich Ihre Sorgen und Nöte angehört?«
»Können Eltern das überhaupt noch? Mein Vater arbeitet viel. Kaum jemand kann sich vorstellen, wie schwierig es für kleine selbstständige Handwerker ist. Und wenn er nicht beim Kunden oder in der Werkstatt war, um dort Reparaturen zu vollenden, dann saà er am Schreibtisch und musste Papierkram erledigen. Da blieb wenig Zeit für die Familie, zumal er sich auch noch für das Gemeinwohl engagiert. Hat jemand von denen da drauÃen, die nur meckern und alles besser wissen, eine Vorstellung davon, welche Arbeit dahintersteckt? Würde das alles hier noch funktionieren, wenn nicht Frauen und Männer in Vereinen und in der Kommunalpolitik tätig wären? Die Freiwillige Feuerwehr? Die Landfrauen? Der Sportverein?«
GroÃe Jäger räusperte sich. »Das klingt wie ein Zeitungsartikel.«
»Davon weià ich nichts. Ich lese keine Zeitung. Das hat mein Vater gesagt. Und der muss das wissen. SchlieÃlich ist er einer von den Blöden, die sich für andere aufreiben. Ich habe nie gehört, dass jemand gesagt hat âºDanke, Michelâ¹.«
»Darüber war Ihr Vater sehr erbost? Kann er leicht ärgerlich werden? Neigt er zu Zornausbrüchen?«
»Das ist Quackikram, was Sie da sagen. Er ist die Güte in Person.«
»Ist er ein strenger Vater?«
Lena Witte musterte Christoph kritisch.
»Wie meinen Sie das?«
»Sitzt die Hand lose â also gibt es schon mal eine Ohrfeige?«
»Von Papa?« Sie prustete verächtlich. »Wer erzählt so einen Mist?«
»Hm.« Christoph spitzte die Lippen. »Er kuschelt eher.«
»Auch nicht. Dazu war keine Zeit. Was wollen Sie eigentlich? Wir sind unterschiedlicher Meinung. Meine Eltern sind in manchen Dingen nicht mehr aktuell. Das ist in der Musik so. Die sind in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts stehen geblieben. Mein Vater hat auch kein Smartphone. Damit kann er nicht umgehen. Sie sind eben von gestern. Aber das sind alle Leute ab vierzig.«
Christoph lächelte amüsiert. Auch GroÃe Jäger zeigte einen Anflug von Heiterkeit. Lena Witte bemerkte ihren Fauxpas.
»Ich nehme das nicht zurück«, sagte sie trotzig.
»Ihr Vater ist bei seinen Kunden sehr beliebt«, begann Christoph. »Besonders die Kinder mögen ihn.«
Sie nickte versonnen. »In die ist er immer ganz vernarrt. Er hat immer ein paar SüÃigkeiten in seiner Werkzeugbox. Aber nicht nur deswegen ⦠Er hat
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