Das Dorf in der Marsch
damals eine wichtige Zeugin sein sollen, hatte aber geschwiegen. Ihr Schwiegervater war Bürgermeister des Ortes gewesen.
»Wie geht es Ihrem Schwiegervater?«
»Der ist im Pflegeheim«, sagte sie.
»Und Ihrer Familie?«
Sie druckste ein wenig herum.
»Wir leben getrennt. Mein Mann versorgt die Kinder.«
»Und Sie?«
Sie zögerte, bis sie schlieÃlich ganz leise erklärte:
»Hermann, also Herr von Dirschau und ich â wird sind jetzt zusammen.«
»Ist Herr von Dirschau zu sprechen? Wir haben ein paar Fragen an ihn.«
»Kleinen Moment«, bat sie und schloss die Tür.
»Die lässt uns wie ein paar Traktatverkäufer der Zeugen Jehovas vor der Tür stehen«, beschwerte sich GroÃe Jäger und wollte sich eine Zigarette anzünden. Christoph hinderte ihn daran. Der Oberkommissar murmelte etwas von »Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit«, unterlieà es aber zu rauchen.
Die Tür wurde wieder geöffnet, und Frau Römelt teilte ihnen mit, dass Herr von Dirschau nicht daran interessiert sei, mit den Mördern seines Sohnes zu sprechen.
GroÃe Jäger wollte aufbegehren, aber Christoph erklärte in ruhigem Ton: »Teilen Sie dem Herrn bitte mit, dass wir ihn morgen früh um acht Uhr zur Einvernahme auf der Husumer Polizeidirektion erwarten. Sollte er nicht erscheinen, werden wir veranlassen, dass er zwangsweise vorgeführt wird.«
Die Frau erschrak. Bevor Christoph sich umdrehen konnte, sagte sie: »Warten Sie einen Moment. Ich werde noch einmal mit ihm reden.«
Sie schloss erneut die Tür. Als sie zurückkehrte, bat sie die beiden Beamten ins Haus und führte sie in die Bibliothek, ohne ihnen einen Platz anzubieten.
Von Dirschau lieà sie eine Viertelstunde warten, bevor er den Raum betrat. Ohne ein Wort zu verlieren, ging er zur Bar, griff einen groÃen Cognacschwenker und schenkte sich einen Cognac Vieux ein. Christoph schätzte, dass die Flasche sicher fünfzig Jahre alt und ein Vermögen wert war.
Von Dirschau lieà das Glas in seiner Handfläche kreisen, steckte die Nase hinein und sog hörbar das Aroma ein. Dabei schloss er genieÃerisch die Augen. Dann führte er das Glas an die Lippen, trank davon und lieà den Cognac im Mund hin- und herrollen.
»Das wird ein Nachspiel haben«, begann er schlieÃlich. Er musste nicht ausführen, dass er sich über den Besuch der Polizisten beschweren wollte. Obwohl Christoph sich vor den verbalen Drohungen nicht fürchtete, war Vorsicht geboten. Von Dirschau war Landtagsabgeordneter und sein Einfluss seit damals noch gewachsen.
»Und?«, fragte er schlieÃlich mit herablassend wirkendem Ton.
»Sie haben gebündelte Interessen im Bereich der erneuerbaren Energie, die hinsichtlich Konzentration und Wirkung nicht das Gefallen aller Involvierten finden«, begann Christoph mit einer gewollt geschraubten Formulierung.
Er sah an von Dirschaus Augen, dass diese Finte wirkte. Sein Gegenüber sortierte die Worte und setzte sie in seine Alltagssprache um. Das dauerte nur Bruchteile von Sekunden, aber es zwang von Dirschau zur Vorsicht.
»Sprechen Sie mich als Unternehmer oder als Politiker an?«
Das war eine unbeabsichtigte Vorlage für Christoph.
»Wenn Sie nachfragen, stellt sich bei mir der Verdacht ein, dass Sie nicht immer die Grenze bei der Interessenabwägung finden.«
Der Vorwurf zeigte Wirkung.
»Wollen Sie mir etwas unterstellen?«
»Gibt es Anlass dafür?«
»Ich bin nicht bereit, auf dieser Basis weiter mit Ihnen zu kommunizieren.«
»Schön.« Christoph tat, als würde er sich zum Gehen wenden. »Dann werden wir Sie auf unsere Dienststelle vorladen. Wenn Sie Ihren Anwalt mitbringen, findet der im Staatsanwalt einen adäquaten Gesprächspartner.«
»Ach«, mischte sich GroÃe Jäger scheinbar gedankenverloren ein. »Wenn Sie sich beschweren wollen, können Sie das gleich coram publico machen. Wir werden dafür sorgen, dass Frau Eichbusch und Frau Julian vor der Tür des Vernehmungszimmers warten.«
Von Dirschau schreckte auf. »Das sind zwei Redakteurinnen der Husumer Nachrichten.«
GroÃe Jäger nickte gelassen.
»Sie kennen sich gut aus in den Medien.«
»Wir haben von einem Zeugen gehört, dass Sie Meinungsverschiedenheiten mit mehreren Einwohnern Everschopkoogs haben«, fuhr Christoph dazwischen.
Von Dirschau
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