Das Dornenhaus
gutmütig ihren Fuß anstieß.
Catherine schlief friedlich, als das weiße Schiff langsam im Hafen von Bombay einfuhr. Robert spürte das Zittern, das durch den Schiffsrumpf lief, und merkte, dass das vertraute Beben des Schiffes aufgehört hatte. Sie hatten angelegt. Er hörte Schlurfen und gedämpfte Stimmen im Korridor und wurde schließlich von Neugier ergriffen. Rasch zog er sich den wollenen Morgenmantel über den Schlafanzug, schlüpfte in seine Pantoffeln und schloss leise die Kabinentür hinter sich, um Catherine nicht aufzuwecken.
Gelb zog die Morgendämmerung herauf, aber der ganze Himmel war von einem trüben, verschwommenen Licht überzogen, das eher wie Rauch aus einem schwärenden Hochofen wirkte. Säuerliche, üble Gerüche drangen ihm in die Nase, und er hustete und legte die Hand vor das Gesicht, trat an die Reling und blickte hinab. Ein schmaler Streifen träge schwappenden, schmutzigen Wassers, in dem allerlei Abfall schwamm, trennte das Schiff von dem mit geschäftigem, ameisengleichem Leben erfüllten Kai. Während er den Anblick von Schmutz, Chaos und Gedränge in sich aufzunehmen versuchte, flogen zwei große schwarze Raben mit schweren Flügelschlägen in der dicken, feuchtwarmen Luft an ihm vorbei und betrachteten ihn aus bösen kleinen Augen. Er zuckte zurück, als ein weiteres Rabenpaar auf ihn zuflog, und kam sich wie eine hilflose Feldmaus vor, auf die sich diese hungrigen Vögel gleich stürzen würden. Von all den Scheußlichkeiten um ihn herum erschreckten ihn diese Vögel am meisten.
Robert ging zurück in die Kabine und schlüpfte neben Catherine ins Bett. Sie tastete nach ihm und murmelte: »Sind wir da?«
»Ja, mein Liebling. Aber es wird noch Stunden dauern, bevor wir an Land gehen können. Schlaf noch ein wenig.«
Sie lächelte verschlafen und schmiegte sich an ihn. Er hielt ihren süß duftenden Körper in den Armen und fragte sich, wie es seiner sanften Braut wohl in diesem wilden, gewaltigen, traurigen Land ergehen mochte, das sich hinter den von Menschen wimmelnden Hafenanlagen ausdehnte.
Zu Roberts Überraschung empfand Catherine Indien als ein erregendes und stimulierendes Erlebnis. Die Verzweiflung der Armen, der Schmutz, die Aggressivität der Städte ließen sie zurückschrecken, aber sie legte sich bald eine praktische Einstellung zu. »Es bricht mir das Herz, all diese Armut und Qual zu sehen, aber, liebster Robert, wenn wir einem Bettler etwas geben, werden wir von den anderen überrannt. Das ist nur wie ein Tropfen im Ozean. Die Veränderung wird hier nur langsam vonstatten gehen, wir können wenig tun.«
Nach einigen Tagen in Bombay reisten sie weiter durch Dörfer und kleine Städte und bestiegen schließlich den Radscha-Express nach Kaliapur.
Die Zugfahrt allein war schon ein Abenteuer. Catherine war entzückt gewesen, zu sehen, dass die große Dampflokomotive in einem dunklen Rosenrot lackiert war und die Außenseiten der Erste-Klasse-Waggons mit gold- und kastanienfarbenen Girlanden bemalt waren. Das Doppelabteil hatte eine dunkle Holztäfelung, weinrote Ledersitze, und die beiden Kojen waren mit gestärkten weißen Laken und kunstvoll gewobenen Decken ausgestattet. Dazu gab es einen kleinen Raum mit Toilette und Waschgelegenheit.
Über das breite Fenster konnte man dunkelblaue Samtvorhänge ziehen, aber für den größten Teil der Reise ließen sie sie offen und staunten über die Weite und Vielfalt des indischen Panoramas, das sich vor ihnen entfaltete. Die unfassbare Größe des Landes überwältigte Catherine. Die scheinbar unendliche, farb- und formenlose Landschaft war ehrfurchtgebietend. Gelegentlich huschte ein staubiger Baum, in dessen Schatten alte Männer am Boden saßen, wie ein gemaltes Bild vorbei. Kleine Dörfer schienen wie Farbkleckse in der öden Landschaft verteilt.
Bei jedem Halt umschwärmte eine brodelnde Menschenmasse den zischenden, Dampf ausstoßenden Zug. Kinder und Straßenhändler klopften an die Waggonfenster, boten gewebte Teppiche, Stoffbahnen, Halsketten und Tabletts voller Speisen feil. Zu kleinen Bergen geformter regenbogenförmiger Reis, dekoriert mit Früchten und Nüssen, wurde in flachen Körben angeboten. Passagiere, die auf dem Bahnsteig geschlafen hatten, rollten ihr dünnes Bettzeug zusammen und erkämpften sich einen Platz in den überfüllten hinteren Waggons. Das aufgeregte Geplapper in verschiedenen Dialekten und singendem Englisch hob und senkte sich, während die Menge sich gegen die Fenster ihres
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