Das Dornenhaus
plauderte, waren sie beide beschäftigt und verbrachten nicht viel Zeit miteinander. Dann kam er eines Morgens zum Haus auf der Suche nach ihr. Er trug ein neues Hemd und sah frisch gewaschen und gesund aus, ein strahlendes Lächeln lag auf seinem Gesicht.
»Hast du ein paar Minuten Zeit, Kate?«
»Natürlich.« Sie erwiderte sein Lächeln. In ihrem gerade geschnittenen, neumodischen Zwanziger-Jahre-Kleid aus Seide mit der Schärpe um die schmale Taille sah sie äußerst grazil aus.
Sie plauderten angeregt, und er führte sie durch die Gärten. Bei den Ställen blieben sie stehen.
»Wir haben ein neugeborenes Fohlen. Möchtest du es sehen?«
Sie gingen in die geräumigen Ställe, wo der kleine Hengst mit gespreizten Beinen das Gleichgewicht zu halten versuchte, während seine Mutter ihn zärtlich ableckte.
»Er ist wunderschön. Schau dir nur die dünnen Beinchen an.« Kate lachte leise.
Sie beobachteten das Fohlen und die Stute ein paar Minuten, dann sagte Ben: »Das ist nicht alles, was ich dir zeigen wollte. Komm mit.«
Er führte sie weiter, vorbei an dem versunkenen Garten, wo Kate stehen blieb und die Sonnenuhr betrachtete, den plätschernden Springbrunnen und die farbenfrohen Wasserrosen mit den üppigen Blütenkelchen.
Ben bemerkte ihren Stimmungsumschwung. »Es ist so friedlich hier, nicht?«
»Ich fühle mich meinem Dad immer ganz nahe, wenn ich hier bin.« Ihre Stimme klang wehmütig.
»Ich erinnere mich an die Zeichnung, die du ihm geschickt hast. Sie hat ihm so gut gefallen. Mir auch.«
»Er war der einzige Vater, den ich gekannt habe. Manchmal ist es ein seltsames Gefühl zu wissen, dass ich noch andere Eltern hatte. Sie sind ein Mysterium für mich.«
»Wenn du erst einmal eine eigene Familie hast, wirst du den Verlust vielleicht nicht mehr so stark empfinden. Du kommst dir bestimmt so vor, als ständest du im Moment zwischen zwei Welten.«
»Da magst du Recht haben.« Sie fühlte sich weniger verwirrt. Mit Ben zu reden gab ihr immer ein Gefühl von … Sicherheit. Sie lächelte ihn an. »Also, wohin wollen wir?«
»Folge mir.«
Sie gingen hinunter zum Flussufer, vorbei am Schwimmbecken und hinein in das üppige Gebüsch.
»Schließ die Augen.«
Gehorsam kam sie seiner Aufforderung nach. Ben nahm ihre Hand, führte sie ein paar Schritte weiter und blieb dann hinter ihr stehen, dabei ließ er die Hände auf ihren Schultern liegen.
»Öffne die Augen!«
Kate schnappte nach Luft. Vor ihr befand sich der Eingang zu der fertig gestellten Grotte. Es war ein ausgeklügeltes Labyrinth aus kühlen Höhlen und steinernen Überhängen, bedeckt mit weichen grünen Moosen und Farnen und Orchideen, die aus den Spalten hervorwuchsen. Das Mauerwerk, obwohl von Menschenhand gemacht, sah aus wie feuchter grauer Sand, der durch die Hand eines Riesen gerieselt und dann erstarrt war. Ein kleiner Pfad schlängelte sich durch die Grotte und führte in Windungen in all die verborgenen Kammern, die Ben geformt hatte.
Seine Hände ruhten immer noch auf ihren Schultern, und sie griff hinauf und berührte sie, während sie das alles staunend betrachtete.
»Gefällt dir dein Geburtstagsgeschenk?«, fragte er schüchtern.
»Es ist einfach wunderschön.«
Sie lief los, um sich alles zu besehen, und er folgte ihr langsam, lächelte über ihre Begeisterung.
»Wenn du in einige der Höhlen schaust, wirst du sehen, dass ich kleine Tiere und komische Gesichter geformt habe – mythische Kreaturen.«
»Wie Wasserspeier?«
»Nein, nicht so was Hässliches. Ich will dir doch keinen Schreck einjagen.«
»O Ben.« Sie lief zu ihm zurück. »Das hier wird immer mein Lieblingsort sein. Das indische Haus ist etwas Besonderes, aber das hier ist etwas Zauberhaftes.«
Ben sah ihr in die strahlenden Augen. Sein Lächeln verschwand, und ein Ausdruck der Liebe und Zärtlichkeit trat auf sein Gesicht. Diesmal zögerte er nicht. Er beugte sich zu ihr herab und küsste ihre weichen, zitternden Lippen.
»Ben. O Ben«, flüsterte sie und schlang ihre Arme um seinen Hals, damit sein Mund den ihren noch einmal berührte. Er hatte die Arme um sie gelegt und zog sie an sich. Als sie die Wärme seines Mundes spürte, die Kraft seiner Umarmung, wusste Kate, dass sie sich liebten. Und es war wie ein Geschenk.
Kapitel fünfzehn
Sydney 1965
O dette ließ ihren Blick über die ausgelassene, fröhliche Gruppe schweifen, die sich im »Schmierlöffel« versammelt hatte. Man feierte Odette, denn sie hatte den diesjährigen
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