Das Dornenhaus
erzählt?«
»Wirklich, Odette, wir könnten es hier mit einer ziemlich abstrusen Geschichte zu tun haben.«
»Ach ja? Lass uns erst bestellen, und dann erzähl mir, was du gehört hast.«
Sie bestellten Roastbeef für Odette und ein durchgebratenes T-Bone-Steak für Max, der dann die plastiküberzogene Speisekarte beiseite schob, sich über den Tisch zu ihr beugte und die Stimme senkte. »Da sind ein paar merkwürdige Geschichten im Umlauf über die Leute in den Hügeln.«
»Was denn für welche?«
»Über Sexorgien und Teufelsanbetung, Drogen und Opferungen!«
Er lehnte sich zurück, hob die Augenbrauen und nickte weise.
Odette prustete los. »Quatsch!«
»Woher willst du wissen, dass es Quatsch ist?«
»Woher weißt du, dass es stimmt?«, gab sie zurück.
»Wo Rauch ist …«
»Hör doch auf, Max. Ich glaube kein Wort davon. Und ich bin vollkommen anderer Meinung. Auf jeden Fall werden wir es morgen erfahren.«
»Wie denn? So was werden sie doch nicht zugeben. Wir müssen vielleicht ein bisschen herumschnüffeln. Und sag, hast du herausgefunden, wo sie sind?«
Odette nippte an ihrem lauwarmen Gin Tonic. »Vielleicht müssen wir so tun, als wollten wir uns ihnen anschließen. Müssen an ein paar wilden Orgien und so was teilnehmen, was meinst du, Max?« Sie grinste ihn an.
»Jetzt machst du dich über mich lustig. Aber warum sollten sich Leute mit guten Berufen, schönen Häusern und allem in ein paar Hügeln weit entfernt von jeder Zivilisation verstecken?«
»Vielleicht halten sie nicht viel von dem, was wir Zivilisation nennen.«
»Es ist doch nicht normal, in die Steinzeit zurückkehren zu wollen.«
»Lass uns erst mal abwarten und sehen, wie es ist, Max. Hier kommt dein Steak. Himmel, wie kannst du nur ein Stück Fleisch essen, das schon fast zu Holzkohle verbrannt ist?«
»Ich will nur sichergehen, dass es wirklich tot ist.« Max beäugte den rosa Saft um Odettes Roastbeef mit Abscheu. »Prost!« Er trank sein Bier aus, und sie unterhielten sich während der restlichen Mahlzeit über dies und das. Nachdem ihr Obstsalat mit Creme serviert worden war, sagte Odette gute Nacht und ging in ihr Zimmer, während Max beschloss, noch einen zu trinken, bevor er sich schlafen legte.
Odette trottete mit dem dünnen, kratzigen Handtuch den Gang hinunter, schloss sich in dem kalten, gefliesten Badezimmer ein, wusch sich das Gesicht und zog ihr Nachthemd an. Da kein Radio in ihrem Zimmer war und der einzige Fernseher des Gasthofs in voller Lautstärke unten in der Gaststube lief, setzte sie sich mit ihrem Notizblock ins Bett und schrieb die Bemerkungen des Taxifahrers auf. Zwischen dem, was »Allzeitbereit« in der Bar aufgeschnappt hatte, und dem, was der Taxifahrer gesagt hatte, schien in der Tat ein großer Widerspruch zu bestehen. Odette gähnte und knipste die kleine Nachttischlampe aus. Hoffentlich würden sich die trüben Wasser morgen klären.
Es war ein strahlender Tag. Max und Odette folgten dem Taxi durch die verschlungenen Täler, die zwischen grünen Hügeln verborgen lagen.
»Dieser Taximensch scheint sich in der Gegend ja gut auszukennen«, bemerkte Max, als sie von der unbefestigten Straße auf einen fast zugewachsenen Waldweg abbogen.
Der Weg führte sie auf die Kuppe eines Hügels mit einem atemberaubenden Ausblick auf das Tal, dessen terrassenförmige Abhänge mit tropischen Pflanzen bedeckt waren. Unten im Tal befanden sich gepflegte Felder und ein breiter, ruhiger Fluss, in dem sich der blaue Himmel und die Federwolken spiegelten. Mitten in einer Baumgruppe erhob sich ein einfacher Holzturm, die mit Schindeln gedeckten Dächer daneben waren kaum zu erkennen. Rauch stieg träge aus abgelegenen Teilen des Geländes auf. Die leuchtenden Blüten von Flammenbäumen unterbrachen hier und da das weiche und freundliche Smaragdgrün. Das Ganze, dachte Odette, war idyllisch, unwirklich … fast paradiesisch.
»Sieht wie eine Filmkulisse aus«, bemerkte Max. »Wie hieß der Film noch … ›Das geheime Tal‹ oder so? Wo alle verschrumpeln und plötzlich hundert Jahre alt sind, wenn sie das Tal verlassen?«
»›Der verlorene Horizont‹«, murmelte Odette.
Das Taxi fuhr den gewundenen Pfad hinunter, der jetzt von Palmen und Baumfarnen überschattet war und an dessen Rändern Büschel von Adlerfarn wuchsen.
Sie erreichten das Tal, und das Taxi, das über eine Grasfläche nahe dem Flussufer holperte, hielt vor einem großsen Gebäude an, das eine Art Versammlungshaus zu sein schien.
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