Das Dornenhaus
interessieren.«
In einem großen luftigen Raum aus Lehmziegeln mit einem strohgedeckten Dach war eine Gruppe von Frauen mit verschiedenen handwerklichen Tätigkeiten beschäftigt: Sie bereiteten Schurwolle zum Spinnen und Färben vor, machten Seidenmalereien, woben und fertigten Schnitzereien an. In einem kleineren, vom Hauptraum abgeteilten Studio saßen Töpferinnen bei der Arbeit an Schalen und Schüsseln. Überall waren kleine Kinder verstreut, die mit Ton, Farben und bunter Wolle spielten.
Odette wanderte herum, sah zu und sprach mit den Frauen, die alle freundlich waren und viel lachten. Neben dem Studio saß eine attraktive Frau in einem prächtigen handbemalten Sarong vor einer Staffelei und legte letzte Hand an ein kleines Ölgemälde von Blumen und Gärten, gemalt in naivem Stil.
»Das ist wunderschön«, rief Odette. »Verkaufen Sie Ihre Bilder?«
»Manchmal. Größtenteils benutze ich sie zum Tauschen. Wir machen eine Menge Tauschhandel in den kleinen Städten der Umgebung, um Dinge einzutauschen, die wir nicht selbst herstellen können.«
Odette fand das kindliche, fröhliche und farbenfrohe Bild bezaubernd. »Das würde ich am liebsten in meinem Schlafzimmer aufhängen. Denn es strahlt so viel Fröhlichkeit aus.«
»Dann gehört es Ihnen.«
»O nein, das kann ich nicht annehmen. Lassen Sie mich dafür bezahlen. Oder etwas eintauschen.«
»In Ordnung. Wie wär’s mit Ihren Schuhen?«, meinte die Künstlerin grinsend.
»Hier, probieren Sie sie an«, schlug Odette vor und schlüpfte aus ihren stabilen italienischen Strohsandalen.
»Passen wie angegossen. Hier ist Ihr Bild. Geben Sie Acht, es ist noch nicht ganz trocken.«
Odette war begeistert. »Sind Sie sicher? Haben Sie schon immer als Malerin gearbeitet?«
»Gott bewahre. Ich habe erst hier damit angefangen. Unter anderem.«
»Was haben Sie in der Stadt gemacht?«
»Gemacht? Ich habe gar nichts gemacht. Oh, ich bin zu Essenseinladungen und Dinnerpartys und zum Einkaufen gejagt, habe Geld dafür ausgegeben, das Haus umzugestalten, oder habe mich mit Leuten getroffen. Aber gemacht habe ich nichts. Und ich war einsam – trotz eines wohlhabenden und erfolgreichen Ehemannes.«
»Was macht der jetzt?«
Sie lachte. »Sitzt wohl immer noch in der Villa herum, nehme ich an. Ich weiß es nicht. Nach über zwanzig Jahren der Abhängigkeit, in denen ich mich nur um ihn und sein Leben gekümmert habe, beschloss ich, dass es Zeit war, mich um meine eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Die Kinder sind erwachsen und aus dem Haus. Dachten, ich sei verrückt, bis sie herkamen und sahen, was ich mache. Meine Tochter meint, ich wäre nun wohl auch erwachsen geworden und aus dem Haus gegangen.«
Odette nahm zusammen mit der Studiogruppe das Mittagessen ein, das auf einem farbigen Tuch unter einem Baum ausgebreitet wurde – einfaches, aber köstliches selbstgebackenes Brot, Gemüseplatten, Nusspasteten und Obst.
»Essen Sie auch Fleisch?«, fragte sie.
»Manche ja, aber nicht jeden Tag. Wir achten meist darauf, was unser Körper verlangt. Manchmal sind es Nudeln und Gemüse, zu anderen Zeiten scheint der Körper Appetit auf eine Lammkeule zu haben. Im Allgemeinen gilt die Grundregel, alles in Maßen zu essen, außer es verstößt gegen eine religiöse Überzeugung«, wurde ihr gesagt.
Den Rest des Nachmittags wanderte Odette herum und sah sich in dieser einmaligen Gemeinschaft um. Eine friedliche Atmosphäre lag über dem Tal, und doch ging es geschäftig und produktiv zu. Besonders faszinierte sie die unterschiedliche Bauweise der Häuser.
Sie ging hinab zum Fluss und fand einen großen, ausgehöhlten Felsen, der einen bequemen Sitz abgab. Sie setzte sich hinein, ließ die Füße im Wasser baumeln, lehnte sich gegen den Fels und schloss die Augen.
Hatte sie geschlafen? Oder geträumt? Sie hörte, wie ihr Name leise ausgesprochen wurde. Blinzelnd öffnete sie die Augen und sah in Zacs lächelndes Gesicht.
Im ersten Augenblick war sie sprachlos. »Zac?«
Er setzte sich neben sie, nahm ihre Hand und küsste die Fingerspitzen. »Faul am Fluss zu sitzen, arbeitet so eine stark beschäftigte Reporterin an einem Artikel?«
»Das nennt man die Atmosphäre in sich aufnehmen. Du wusstest, dass ich hier bin?«
»Ich habe davon gehört. Ich muss zugeben, dass ich ein bisschen überrascht war, aber Cerina hat ja gesagt, dass sich unsere Wege wieder kreuzen würden.«
»Was machst du hier?« Odette richtete sich auf, sie sehnte sich danach, ihm die Arme um
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