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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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sie mitgebracht hatten, und holte ihr Notizbuch und den Stift heraus. Sie hatte Eindrücke und Gefühle in ihrem Kopf angestaut, wollte sie aber nicht vor Zac niederschreiben, da so vieles davon ihn betraf. Jetzt schrieb sie wie befreit. Sie ließ einfach ihre Gefühle und Gedanken auf das Papier fließen. Sie hatte keine Ahnung, was sie mit dem Geschriebenen anfangen würde, wenn sie denn überhaupt etwas damit anfangen würde, aber für Odette war das Niederschreiben die vertrauteste Form des Ausdrucks.
    Sie wusste nicht, wie lange sie schon so dasaß, als ein Schauder sie überlief. Es war kein Frösteln, sondern mehr ein inneres Zittern. Tante Harriet nannte so etwas, »jemand ist über mein Grab gegangen«. Odette legte Stift und Notizbuch beiseite und sah hinaus aufs Meer. Ihr war warm, sie fühlte sich wohl, ihr dickes Haar war getrocknet und mit einem Band zurückgebunden. Durch ihre Sonnenbrille hatte das Wasser einen gelblichen Schimmer und sah aus wie ein fernes und seltsames Gemälde.
    Ein paar Minuten später verspürte Odette plötzlich den Wunsch, nicht den Drang, zurück ins Wasser zu gehen. Sie ließ ihre Sonnenbrille fallen und ging, ohne den Blick vom Meer abzuwenden, über den Strand. Ihr Verstand fragte sich, warum sie das machte – sie wollte eigentlich nicht wieder ins Wasser.
    Ohne zu zögern, ging sie hinein, bis ihr das Wasser an die Taille reichte. Dann holte sie tief Luft, tauchte und schwamm mit kräftigen Zügen vorwärts, spürte, wie eine Welle über sie hinwegrollte. Sie schwamm, bis sie fast außer Atem war, dann tauchte sie auf und durchbrach spritzend und prustend die Oberfläche mit dem Gesicht zur Sonne. Sie öffnete die Augen und schnappte überrascht, fast panisch nach Luft – direkt vor ihr schwamm ein Delphin, der sie mit seinen großen, freundlichen Augen betrachtete. Er war so nah, dass sie den Arm hätte ausstrecken und seinen breiten Kopf mit der spitz zulaufenden Nase berühren können, aber bevor sie eine Bewegung machen konnte, tauchte er unter ihr weg und verschwand.
    Odette drehte sich strampelnd im Wasser und sah bei einem Blick über die Schulter, dass drei weitere Delphine zwischen ihr und dem Ufer durchs Wasser schossen. Einer glitt näher und betrachtete sie mit einem wissenden Ausdruck, ein anderer schwamm unter ihr hindurch, kam wieder hoch und rollte sich vor ihr herum.
    »Ach, ihr wollt spielen«, rief Odette, tauchte ab und sah ihre Gefährten um sie herumtauchen und sie umkreisen. Sie paddelte wieder nach oben und schoss lachend aus dem Wasser heraus. Dann streckte sie den Arm aus, und sie glitten an ihr vorbei, eben außer Reichweite ihrer Fingerspitzen. Die Delphine waren so anmutig, so fröhlich, so schön, dass Odette meinte, ihr Herz würde zerspringen. Sie schaute zum fernen Ufer, weil sie sehen wollte, ob Zac wach war. So laut sie konnte, rief sie: »Zac!« Und in Sekundenschnelle war das Meer um sie herum leer.
    »O nein, geht nicht weg!« Odette sah sich um, schwamm ein bisschen weiter hinaus und rief die Delphine. Dann sagte ihr ein Instinkt, sich still zu verhalten. Sie ließ sich auf dem Rücken treiben und von den Wellen zum Strand schaukeln.
    Die Delphine kamen zurück, ohne Vorwarnung tauchten sie neben ihr auf. Sie waren einfach da. Tränen traten Odette in die Augen, als die Delphine sie umkreisten und ihre Sprünge machten. Sie sah ihnen einfach zu, bis sie alle drei gleichzeitig in einem vollendeten Bogen hochschnellten, mit einem seltsam klickenden Geräusch wieder eintauchten und mit einem letzten Schlagen der Schwanzflosse verschwanden.
    Langsam schwamm Odette zurück ans Ufer, blieb noch einen Moment an Strand stehen und schaute hinaus aufs Meer – ihre Gefährten waren verschwunden.
    Zac hatte die Arme um die Knie geschlungen und sah ihr entgegen. Odette lief zu ihm, warf sich in seine Arme und fiel mit ihm zusammen in den Sand. »Zac, du kannst dir nicht vorstellen, was passiert ist. Hast du es gesehen? Das war Zauberei. O Zac!«
    Sie weinte und lachte, und er drückte sie an sich. »Ja, ich hab’s gesehen. Die Delphine sind zu dir gekommen.«
    »Warum bist du nicht auch ins Wasser gekommen? Sie haben mit mir gespielt, ich schwör’s dir, Zac. Sie haben mit mir gespielt.«
    »Nein, diesmal waren sie deinetwegen da. Ich bin schon früher mit ihnen geschwommen. Sie kommen, wenn man dazu bereit ist. Ich hätte sie möglicherweise vertrieben. Die Delphine sind eher feminine Wesen und reagieren besser auf Frauen als auf

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