Das Dornenhaus
haben neulich beim Tee darüber gesprochen, dass es doch nicht notwendig ist, alles abzureißen. Und genau das scheint zu passieren – alles wird abgerissen … und Zanana ist einfach zu schön, um von den Bulldozern niedergewalzt zu werden.«
Odette nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. »Also, mal abgesehen von diesen nostalgischen Beweggründen, hier geht es doch zunächst einmal darum, dass Bauspekulanten klammheimlich einen Teil des historischen Sydney parzellieren und geschichtsträchtige Bauten niederreißen wollen. Könnte Ihr Sohn mir Kopien der Pläne besorgen? Und den Namen des Bauunternehmens herausfinden?«
Mrs. Bramble sah besorgt aus. »Ich will ihn nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich werde ihm sagen, er soll dich abends nach der Arbeit anrufen. Gib mir deine Privatnummer. Wir würden wirklich alles begrüßen, was du für uns tun kannst, Odette. Zu viel Altes wird niedergerissen, um Platz für Modernes zu schaffen. Wir müssen einiges von dem Alten bewahren. Daher haben wir eine Bürgerinitiative gegründet. Wir wollen Zanana retten.«
Odette holte Mrs. Metcalfs Meinung zu der Geschichte ein. »Ich glaube, das könnte einen guten Artikel geben. Ich versuche, objektiv zu bleiben, aber ich muss zugeben, dass Zanana für mich etwas Besonderes ist. Ein kurzes Zwischenspiel in meiner Kindheit, das großen Eindruck auf mich gemacht hat.«
»Dann werden Sie bestimmt mit großer Leidenschaft und Anteilnahme darüber schreiben. Aber seien Sie vorsichtig mit diesen Bauspekulanten, das muss sehr sorgfältig recherchiert werden. Ich weiß nicht, wie groß das Interesse an Geschichte und Tradition wirklich ist, obwohl es Anzeichen dafür gibt, dass es in Mode kommt.«
Odette nahm sich als Erstes die Bibliothek von Kincaid vor und fand Zeitungsausschnitte, die bis zurück zur Jahrhundertwende reichten, Unterlagen und Feuilletonartikel über die MacIntyre-Familie und den »australischen Mandarin« Hock Lee. Sie vertiefte sich in die Blütezeit von Zanana, die Berichte über die Feste und die Geschäftsinteressen dieses seltsamen Paares – des chinesischen Barons und des schottischen Philanthropen.
Sie betrachtete vergilbte Zeitungsfotos von Robert und Catherine MacIntyre mit einer Eindringlichkeit, als handele es sich um wiedergefundene Verwandte. Alles war genauso hinreißend und fabelhaft, wie sie es sich vorgestellt hatte. Was war schief gegangen? Was war mit der Familie geschehen? Wo war das MacIntyre-Vermögen geblieben?
Mehrere Abende lang saß sie in der Bibliothek und blätterte alte Zeitungsordner durch. Aus der Zeit des Ersten Weltkriegs gab es viele Berichte über Soldaten aus Kincaid, über traurige Verluste und mutige Taten. Dann fiel ihr ein Foto ins Auge, als sie die Seiten umblätterte. Es war der chinesische Gentleman im Zentrum einer Gruppe, der ihre Aufmerksamkeit erregte. Die Bildunterschrift lautete: »Der Sydneyer Geschäftsmann Hock Lee, begleitet von Miss Kate MacIntyre und Mrs. Gladys Butterworth aus Zanana, heißen unseren Kriegshelden Mr. Hector Dashford am Bahnhof von Kincaid willkommen.« Das Foto war mitten in der zur Begrüßung der Heimkehrer zusammengeströmten Menge aufgenommen worden, und die Gruppe, bis auf den strahlend lächelnden Hector Dashford, sah ein wenig überrascht in die Linse des Fotografen. Odette notierte sich die Namen Dashford und Butterworth.
Bald trafen dicke Pakete mit Papieren, Zeitungsausschnitten und gut recherchierten Unterlagen von der »Rettet Zanana«-Initiative auf Odettes Schreibtisch ein. Es schien, als habe sich die ursprüngliche Besorgnis einer Hand voll Leute wie ein Buschfeuer ausgebreitet, und der Unmut war allgemeinem Zorn gewichen. Zumindest in Kincaid.
Mrs. Brambles Sohn durchforschte die Kommunalsteuerunterlagen und entdeckte, dass sich Zanana im Besitz einer Scheinfirma befand und sämtliche Korrespondenz an ein Postfach in der Stadt ging. Die Steuern wurden immer pünktlich bezahlt. Er gab ihr auch den Namen des Bauunternehmens durch sowie den des zuständigen Architekten.
Odette arbeitete sich langsam durch die Papierberge hindurch, und allmählich nahm das Bild von Zanana in seiner Blütezeit Formen an, wie bei einem Puzzle. Sie erkannte, dass es einmal so etwas wie ein großes altenglisches Landgut gewesen sein musste, mit ertragreichen Obstgärten, einer Gärtnerei und einer Molkerei. Und sie entdeckte menschliche Züge in den Berichten über Dinnerpartys mit dem Generalgouverneur und Catherines jährliche
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