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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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waren sie. Hastig zündete sie den Kerzenstummel an und schaute sich um. Die Kartons waren noch da. Sie begann sie zu durchwühlen.
    Im ersten Karton fand sie muffige alte Kleider, Spitzen- und Pelzkragen, zerdrückte Hüte und Schmuckschatullen mit unechten Halsketten und Broschen. Der nächste war mit Büchern, Zeitungen und mehreren Tischkalendern voll gestopft. Odette blätterte sie durch, aber sie enthielten nur wenige Einträge, meist Verabredungen und Termine. Im dritten Karton befanden sich Ordner und Mappen, Rechnungsbücher und Hauptbücher. Auch diese blätterte sie durch, aber sie schienen alle ordnungsgemäß geführt und von wenig Interesse zu sein. Enttäuscht kippte sie den Karton aus. Ihr Herz machte einen Satz – ganz unten befanden sich ein paar Mappen mit der Aufschrift ›Zanana‹.
    Als sie sie öffnete, stellte sie fest, dass sie leer waren. Odette biss sich auf die Lippen. Irgendwo mussten die Unterlagen über die Machenschaften, durch die Mary Zanana an sich bringen wollte, doch sein. Sie schaute sich um. Weitere Kartons gab es nicht, aber Odette wusste, dass das Gesuchte hier irgendwo war. Sie griff nach dem Kerzenstummel und begann systematisch zu suchen, während sie darum betete, dass Mary nicht zurückkam und sie hier fand. Die Frau hatte jeglichen Bezug zur Realität verloren, und Odette spürte, dass sie gefährlich werden konnte.
    Zacs Warnung schoss ihr durch den Kopf – ihr drohe Gefahr von einem Kind! Mary! Jetzt ergab es einen Sinn. Sie durchsuchte alle Ecken und Winkel, aber es gab nur wenige Möbel und kaum einen Platz, wo man etwas verstecken konnte.
    Odette schaute auf das große Bett mit dem Baldachin. Langsam ging sie darauf zu und ließ ihre Finger über die geschnitzten Pfosten gleiten. Immer noch mit der Kerze in der Hand stellte sie sich auf das hölzerne Podium und sah hinauf zu dem edelsteinbesetzten Himmel. Sie tastete alles Stück für Stück ab und suchte nach einem verborgenen Fach oder einem möglichen Versteck, fand aber nichts.
    Enttäuscht wollte sie wieder vom Bett steigen, als direkt über ihr der Donner krachte und sie erschrocken zusammenzucken ließ. Sie stolperte, verlor das Gleichgewicht und spürte im Fallen, dass eines der Bretter des Bettes unter ihr nachgab.
    Die Kerze flackerte, aber Odette konnte trotzdem erkennen, dass sich das Brett unter das nächste geschoben hatte und so einen kleinen Spalt freigab – ein verborgenes Fach im Bett. Darin schimmerte etwas Weißes.
    Mit zitternden Händen und wild klopfendem Herzen griff Odette hinein und zog ein Bündel zusammengerollter Papiere heraus, die sorgfältig mit einem Gummiband zusammengehalten waren. Ihre Aufregung wuchs, als sie das Gummiband abstreifte und die Papiere durchblätterte. Ein flüchtiger Blick genügte ihr. Sie hielt die unwiderlegbaren Beweise für Marys von langer Hand vorbereitetes Komplott in der Hand – Urkunden, Besitztitel, Verträge, Firmenpapiere. Alles war sehr detailliert und verwirrend, und die Fachleute würden einige Zeit brauchen, das alles durchzuarbeiten. Bei den Unterlagen befanden sich auch einige Mappen mit persönlichen Papieren, eine davon mit der Aufschrift »Waisenhaus St. Bridget – Mary O’Hara«.
    Odette wartete nicht länger. Rasch rollte sie die Papiere wieder zusammen und stopfte sie in ihre Bluse. Dann zog sie die Jacke darüber und trat hinaus in die stürmische Nacht.
    Vorsichtig ertastete sie sich ihren Weg hinunter zu den Mangroven, wo sie das Ruderboot vertäut hatte. Von Mary war nichts zu sehen.
    Wasser schwappte auf dem Boden des Dinghis, aber der Sturm hatte so weit nachgelassen, dass sie ungefährdet zurückrudern konnte. Sie stieß sich ab, ließ die Ruder ins Wasser gleiten und ruderte vom Ufer weg.
    Auch der Regen ließ nach, und Erinnerungen an die Sturmnacht, in der ihre Eltern ertrunken waren, kamen in ihr hoch. Odette spürte jedoch, wie die Traurigkeit ihrer Kindheit von ihr abglitt. Die Jahre der Einsamkeit und der schmerzlichen Gedanken an die Vergangenheit wurden mit dem jetzt nur noch sanft fallenden Regen weggespült.
    Arme Mary. Die Verletzungen und oftmals falschen Beurteilungen, die man als Kind erleidet, nagen an der Seele bis zum Erwachsenwerden, vergraben, aber nie vergessen, bis man sich eines Tages davon befreit. Odette war frei. Mary war stets eine Gefangene ihres eigenen Willens und ihrer Fehlinterpretationen gewesen. Sie hatte die ihr von den Butterworths entgegengebrachte Liebe verschmäht und wahrscheinlich

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