Das Dornenhaus
Bräuche unterrichtet werden und erfahren, warum wir so leben, wie wir leben. Du weißt schon ein wenig von Zac, aber es gibt immer noch viel Aberglauben über uns, der zu Reibungen führt.«
Die Königin ließ sich zu Boden sinken und nahm im Schneidersitz Platz, der weite, farbenprächtige Rock lag um sie gebreitet. Die Reifen an ihrem Arm klirrten leise, als sie die Falten ihres Rockes ordnete. Sie trug weiche Satinpantoffeln mit edelsteinbesetzten Spangen, dazu ein mit Silbermünzen benähtes Kopftuch um ihr dunkles, ergrauendes Haar, das zu einem dicken Knoten geschlungen war.
Horrie hüstelte.
»Das ist Horace, der Fotograf. Er kann es kaum erwarten, ein Foto von Ihnen zu machen«, lächelte Odette. »Sie haben ein so schönes Gesicht. Würde es Ihnen etwas ausmachen?«
Cerina lächelte breit. Die Falten in ihrem Gesicht hatten sich um Augen und Mund tief eingegraben, aber ihre Schönheit war mit den Jahren nicht verblasst. »Ah … du hast bereits gelernt, dass du mit Honig mehr erreichst als mit Essig. Und weil du so nett gefragt hast …« Anmutig winkte sie Horrie zu, der sofort seine klobige Speed-Graphic-Kamera bereitmachte und mit professioneller Geschmeidigkeit in Aktion trat.
Die anderen Frauen, mehrere Kinder, ein dicker Welpe und der alte Mateo bildeten einen Halbkreis um Odette. Sie öffnete ihren Block und fragte: »Warum zieht ihr wie die Nomaden herum? Wäre es nicht leichter, euch an einem Ort niederzulassen?«
»Wir sind ein Volk ohne Heimat, wir suchen immer noch nach dem Land unserer Vorfahren. Aber das ganze Leben ist eine Suche, Kind. Wir alle suchen nach dem unerreichbaren Ort ewiger Ruhe, an dem Heiterkeit, Schönheit und Frieden herrschen. Manche finden ihn im Tod. Oft verdecken Ehrgeiz, Habgier und Verwirrung die Reinheit des einfachen Lebens. Natürlich brauchen wir alle Schutz und Nahrung und Wärme und Liebe, doch das ist nicht abhängig vom Besitz materieller Werte. Unsere Bedürfnisse sind einfach, aber vielleicht werden unsere Methoden missverstanden.«
»Warum mögen die Leute euch nicht? Warum wollen die Leute hier aus der Stadt, dass ihr weiterzieht?«
»Viele Menschen misstrauen dem, was sie nicht verstehen, und lehnen es ab. Und man sagt uns nach, wir würden uns das Eigentum anderer ›borgen‹ und, wie manche glauben, die Menschen verhexen. Wahrsagerei ist eine Gabe der Prophezeiung, die vielleicht nicht unheilvoller ist als Märchen und Mythen. In meinem Innersten glaube ich, dass die meisten Menschen uns unsere Freiheit neiden. Dem Sonnenaufgang und dem Regenbogen zu folgen ist eine sehr freudvolle, fröhliche Art zu leben.«
Dann erklärte die Königin Odette einige ihrer alten Lehren und Bräuche.
Wie die Zigeunerkönige und -königinnen gewählt wurden, wie das Krönungsritual und wie die Zeremonie anlässlich ihres Todes ablief, wenn sich alle Zigeuner an einem Ort versammelten.
»Wir haben viele Bräuche und Gaben, die unser Geheimnis bleiben müssen«, fügte sie hinzu.
»Wo kommen die Zigeuner her?«, fragte Odette.
»Ah, da müssen wir weit zurückgehen, in den Nebel der Zeit. Und es ist nicht so sehr die Frage, woher wir kommen, sondern, wohin wir gehen. Die Alten erzählen, wie es seit Generationen überliefert wird, dass wir von einem uralten Hindustamm abstammen, aber im neunten Jahrhundert aus dem Land gejagt wurden. Schon mit den ersten Entdeckern kamen um 1770 Zigeuner nach Australien, und es sind viele nachgekommen. Wir bleiben unter uns, wenn es uns erlaubt wird, weil es uns so am liebsten ist.«
Horrie hielt sich im Hintergrund und fotografierte die ganze Gruppe, hatte aber immer wieder das kraftvolle Gesicht von Königin Cerina vor dem Sucher. Mit einem Klicken nahm er das Magazin heraus und legte einen neuen Film ein.
»Um auf die hiesigen Probleme zurückzukommen«, fuhr die Königin fort, »und um es genau zu sagen, der momentane Ärger in dieser Stadt hat mit dem Verkauf einiger Pferde zu tun. Wir Zigeuner sind schon immer Pferdehändler gewesen, weil das Pferd uns unsere Reisen ermöglicht hat, weil wir es zum Tausch benutzen konnten und es für die frühen Krieger eine Notwendigkeit war. Wir verfügen über ein großes Wissen über diese Kreatur, das von Vorteil für uns ist.«
Mateo hob spöttisch die Augenbrauen. »Aber nicht immer für andere.« Er setzte die Erzählung fort. »Wir sind Gaukler, wir sind Händler, also benutzen wir oft bestimmte Tricks beim Handeln.«
»Wie den mit dem Mädchen, das den Autofahrer ablenkt,
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