Das Dornenhaus
Stöhnen und dem Geräusch aufeinander prallender Fäuste und Knochen.
In Minutenschnelle war alles vorbei. Die betrunkenen Arbeiter aus der Stadt konnten es mit den kräftigen und nüchternen Zigeunern nicht aufnehmen. Sie nahmen die Beine in die Hand, stießen Verwünschungen aus und humpelten mit blutigen Gesichtern davon.
Zac und Mateo sahen ihnen nach. »Sie könnten mit Verstärkung und Waffen zurückkommen. Ich glaube, ihr solltet das Lager besser sofort abbrechen«, warnte Zac.
»Komm mit uns, Zac.«
»Nein. Ich bin noch nicht bereit, Amberville zu verlassen. Komm, Odette. Ich bring dich nach Hause.«
Odette zog ihre Jacke an, verabschiedete sich rasch und folgte Zac zu einem der Autos.
»Ich fahre dich zurück. Tja, jetzt kannst du deinem Artikel noch einiges hinzufügen, was?«
»Mir zittern die Knie.«
Er tätschelte ihr Bein. »Bei mir bist du immer sicher.«
Das Licht über der Eingangstür leuchtete hell, als Zac vor Tante Harriets Haus anhielt.
»Wir sind da.«
»Danke, Zac. Es war ein wunderschöner Abend … bis auf das Ende.«
»Lass es dir nicht so zu Herzen gehen. Wir sind daran gewöhnt, schikaniert zu werden. Aber versprich mir eins, Odette … schreib immer aus dem Herzen und schreib nur die Wahrheit. Es wird zwei Versionen geben von dem, was heute Abend passiert ist.«
»Ich versprech’s. Gute Nacht, Zac.«
»Gute Nacht, kleiner Vogel.«
Er beugte sich zu ihr, drehte ihr Gesicht zu sich herum und gab ihr einen leichten Kuss auf den Mund. Odette bewegte sich nicht. Die Berührung seiner Lippen war für sie ganz unerwartet gekommen. Sie hob ihr Gesicht, um ihn ihrerseits zu küssen, aber Zac beugte sie über sie und öffnete die Autotür. »Deine Tante wird sich Sorgen machen. Es ist schon spät.«
Widerstrebend stieg Odette aus, lächelte Zac zu und winkte ihm nach, als er davonfuhr. Bei dem Gedanken an die Prügelei zwischen den Zigeunern und den Rüpeln aus der Stadt, aber auch an die Berührung von Zacs Lippen fingen ihre Knie erneut an zu zittern.
Ihre Tante hörte in der Küche Radio. »Odette? Wo warst du? Es ist schon fast zehn! Dein Essen steht im Ofen, aber es ist inzwischen wahrscheinlich ungenießbar.«
Am nächsten Morgen war die Prügelei in aller Munde. Allgemein hieß es, Hoskins und seine Kumpel hätten ihr Geld für den Kauf einiger minderwertiger Pferde zurückverlangt und wären von allen Zigeunern auf einmal angegriffen worden. Manche behaupteten, sogar die Frauen wären über sie hergefallen.
Odette interviewte Hoskins, der mit gebrochener Nase und einem blauen Auge vor dem Pub saß. Sie hörte ihm zu, als er erzählte, wie er überfallen worden war, ohne zu wissen, dass sie dort gewesen war und die wahre Geschichte kannte. »Mörderische verdammte Bande«, schloss er.
Sie sprach mit dem örtlichen Polizeibeamten, der sagte, er wisse überhaupt nichts über den Aufruhr, und zugab, dass er nie irgendwelche Schwierigkeiten mit den Zigeunern gehabt hatte. Als kluger Landpolizist, der er war, gab der Beamte sowieso nur das zu wissen vor, was für ihn gut war.
»Ach, gelegentlich beschweren sich die Leute darüber, auf der Straße ›aufgehalten‹ zu werden oder so was. Aber die meisten lachen nur darüber.«
Sie sprach mit den Stadtverordneten, von denen einige versucht hatten, das Lagern der Zigeuner im Stadtbereich zu verbieten, wenn auch ohne Erfolg. Nach einigem sanften Nachbohren gestand der barsche Bürgermeister sogar, dass er den Lebensstil der Zigeuner romantisch fand und er, ja doch, nichts dagegen hätte, dieses Leben selbst einmal auszuprobieren. »Wenn mich meine Frau mal vom Haken ließe«, setzte er glucksend hinzu.
Odette hatte ihren Artikel. Sie schrieb von der Geschichte und den Gebräuchen der Zigeuner, davon, was wirklich an dem Abend passiert war und wie Hoskins die Pferde weiterverkauft hatte, die seltsamerweise alle aus ihrem Gatter verschwunden waren und nie wieder gesehen wurden.
Am folgenden Freitagmorgen öffnete sie den
Clarion
und fand auf den beiden Mittelseiten der Zeitung ihren Artikel, zusammen mit Horries Fotos. Geschchten der Zigeunerkönigin – Tatsachen hinter den Mythen lautete die Überschrift.
Darunter stand in kleinerer Schrift, die Odette so groß wie der Mount Everest vorkam, »von Odette Barber«.
Von einem der Fotos lächelte Zacs gut aussehendes Gesicht sie an.
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II
Zarte Liebe unter dräuenden Schatten
Kapitel neun
Zanana 1916
E s war Frühjahr, und in den Gärten von Zanana
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