Das Dornenhaus

amateurhafte Zeichnungen des Gartens oder eines Vogels hinzu und hob Kates Malversuche und eine Locke ihres Haares auf.
    Und obwohl Hock Lee dafür gesorgt hatte, dass es Mary an nichts fehlte, wofür er einen bestimmten Teil von Roberts Vermögen nutzte, wurden Marys Besuche bei ihm ebenfalls unregelmäßiger. Mary zog es vor, ihm hin und wieder brieflich auf formelle Weise über ihre Fortschritte in der Schule zu berichten. Sie hatte nicht den Wunsch, Hock Lee zu sehen, und schien entschlossen, Zanana hinter sich zu lassen.
    Im Gegensatz dazu waren Kates schulische Ausbildung und ihr Leben behütet, geschützt und umhegt. Ihren Unterricht erhielt sie durch Gouvernanten und Privatlehrer, und bei den seltenen Gelegenheiten, zu denen sie Zanana verließ, war sie immer in Begleitung. Aber dieser eingeschränkte Lebensstil machte ihr nichts aus – Kates Leben drehte sich um Zanana. Anders als Mary liebte sie die Besuche bei Hock Lee. Kate verehrte ihren Patenonkel und wandte sich an ihn um Unterweisung und Rat. Sie mochte seinen Sinn für Humor und die philosophische Weisheit, die er aus dem Erbe seiner Vorfahren zog. Außerdem war er die engste Verbindung, die sie zu ihrem leiblichen Vater Robert MacIntyre hatte.
    Als sie zehn war, erfuhr Kate von Mary. Kate war tief bekümmert über das Schicksal des Waisenmädchens, wollte sie kennen lernen und ihre Freundin sein. »Wir sind doch fast Schwestern«, rief sie aus. »Warum können wir nicht Freundinnen sein? Das ist doch alles schon so lange her. Ich war noch ein Baby, ich kann mich an nichts erinnern. Es ist mir egal.«
    »Mary ist ein bitteres und trauriges Mädchen«, erklärte Mrs. Butterworth. »Sie gibt uns die Schuld am Verlust ihres Glücks und der Veränderung ihres Lebens. Sie bekommt eine gute Ausbildung und verfügt über etwas Geld aus dem Erbe deiner Eltern. Ich bete nur darum, dass sie ihren Weg in der Welt finden und sich ein neues Leben schaffen wird, dass sie eine Familie gründen und ihr das Glück zuteil werden wird, das sie verdient.«
    Kate war immer noch neugierig und spürte, dass ihr nicht alles erzählt worden war. Doch sie behielt diesen Teil der Familiengeschichte zusammen mit den anderen Informationen über ihre Eltern und Zanana im Gedächtnis.
    Die Butterworths als ihre Vormunde hatten mit ihr über Robert und Catherine MacIntyre gesprochen, seit sie ein Baby war, also war sie mit ihren leiblichen Eltern vertraut. Aber da sie nur steife und formelle Fotografien von ihnen gesehen hatte, konnte sie sich ihre Persönlichkeiten, ihre Gesten, ihren Geruch, den Klang ihrer Stimmen oder ihres Lachens nicht vorstellen. Sie waren ein Teil von Zanana, genau wie die schönen Möbel, das gepflegte Grundstück oder die kaum benutzte Villa. Kate fühlte sich von der Verbindung zu ihrer unmittelbaren Vergangenheit abgeschnitten.
    Die Butterworths lebten im Erdgeschoss in einfachen Räumen, und Kate war erst vor kurzem in eines der Schlafzimmer im ersten Stock eingezogen. Ihre Mahlzeiten nahmen sie in dem kleinen Sonnenzimmer neben der Küche ein oder im Sommer auf der hinteren Terrasse. Das Speisezimmer, in dem die Butterworths für die MacIntyres serviert hatten, wurde nie benutzt. Ein Hausmädchen half Mrs. Butterworth, das Haus sauber zu halten, jede Woche wurde in allen Räumen gelüftet und Staub gewischt. Mit der Hilfe von Sid Johnson überwachte Harold die Pflege des Grundstücks, die Instandhaltung der Molkerei, der Gärtnerei, der Ställe und der Arbeiterunterkünfte.
    Ben, der Sohn der Johnsons, jetzt siebzehn Jahre alt, leistete ebenfalls Männerarbeit auf dem Gut. Als der Krieg ausgebrochen war und sich alle wehrfähigen Arbeiter zum Kriegsdienst gemeldet hatten, war Ben von der Schule abgegangen, um in Zanana zu helfen. Sid und Netties einziges Kind hatte lockiges braunes Haar, braune Augen und dichte Wimpern, die jede Mutter zum Seufzen brachten. Er war groß gewachsen, hatte zwar noch die Schlaksigkeit der Jugend, jedoch bereits einen kräftigen Brustkorb und breite Schultern und strahlte Gesundheit und ländliche Kraft aus. Er war in Bangalow geboren, doch seine Eltern waren nach Zanana gezogen, um für die MacIntyres zu arbeiten, als er ein Kleinkind war, und der Besitz war das einzige Zuhause, an das er sich erinnern konnte.
    Ben, der die überhängenden Zweige eines Baumes zurechtstutzte, beobachtete Kate aus seinem schattigen Versteck. Wie sie da an der Rosenlaube vorbeiging, das Musselinkleid gehalten von einem blauen