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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Seidengürtel, dazu das blonde Haar, das ihr über den Rücken fiel und von einem blauen Seidenschirm beschattet wurde, hätte sie das Modell eines französischen Impressionisten sein können. Aber für Ben war sie liebreizender als der Marmorengel, der das Grab ihrer Eltern bewachte. Er bemühte sich immer ganz besonders, das Gras, das Strauchwerk und die Rosenbüsche um das Doppelgrab von Robert und Catherine in Ordnung zu halten, und hatte manchmal Mitleid mit Kate, wenn er sie so ganz allein durch den Garten gehen sah.
    Kate wandte sich dem versunkenen Garten zu, blieb bei der Sonnenuhr kurz stehen, schloss den Sonnenschirm und ging die Marmorstufen zum indischen Haus hinauf.
    Sie kam nicht oft hierher, obwohl es ihr Lieblingsplatz war. Sie öffnete die Tür und atmete tief den schwachen Geruch von Sandelholz ein. Das Sonnenlicht sickerte durch die kunstvollen Fenster, funkelte und brach sich in den unzähligen kleinen Spiegeln.
    Sie hatte nur vage Geschichten darüber gehört, wie ihr Vater diesen indischen Miniaturpalast nach den Flitterwochen in Indien für ihre Mutter gebaut hatte. Sie wünschte, sie wüsste mehr über die beiden, weil sie spürte, dass dieser Ort etwas Besonderes an sich hatte. Das hier war keine überspannte Idee, kein bloßes Monument. Es barg Geheimnisse, und sie wusste von Mrs. Butterworth, dass das Haus einen besonderen Platz im Herzen ihrer Mutter eingenommen hatte.
    Kate setzte sich auf den geschnitzten Ebenholzstuhl und spürte, wie der Zauber dieses Ortes von ihr Besitz ergriff, wie immer, wenn sie hier war. Sie schloss die Augen und ließ ihre Gedanken schweifen. Bald schien ihr Körper abzuheben und zu schweben. Sie fühlte sich durchsichtig, nur mehr ein Lichtfragment, und ein Gefühl unglaublicher Freude durchströmte sie. Sie meinte, eine ferne, lockende Melodie zu hören, seltsam und ein bisschen unheimlich, aber wärmend und schmeichelnd. Das sanfte Lachen einer Frau vermischte sich mit der Musik, und der Duft von Rosen überwältigte ihre Sinne wie eine Droge.
    Wie lange sie so schwebte, wusste sie nicht. Aber als die Musik verklang und der Duft verflog, öffnete sie die Augen und spürte in sich eine große Ruhe. Kate war sich immer bewusst, dass ihr, wenn sie Zweifel oder Fragen hätte, die Zeit der Stille im indischen Haus ein Gefühl der Gelassenheit und der Seelenruhe vermitteln würde, ihren Kopf frei machen und ihr Lösungen aufzeigen würde.
     
    Kate stand in dem kleinen Turmzimmer von Zanana, als sie ein Pferd im leichten Galopp über die Auffahrt nahen hörte. Neugierig trat sie auf den Rundgang vor den Turmfenstern.
    Der Reiter trug eine seltsame Mischung aus Zivil- und Militärkleidung – Armeestiefel, eine dicke Khakijacke und den Schlapphut eines Soldaten. Er stieg vom Pferd, doch bevor er die Eingangsstufen erreichte, kam Harold Butterworth um die Ecke, stieß einen erstaunten Ruf aus und lief zu ihm, um dem Mann überschwänglich die Hand zu schütteln. Grinsend klopften sie einander auf den Rücken und gingen ins Haus. Als Kate nach unten lief, hörte sie Harold rufen: »Gladys, Gladys … schau mal, wer hier ist.«
    Kate wartete in der Eingangshalle und hörte Mrs. Butterworths freudigen Überraschungsschrei. Mit scheuem Lächeln betrat Kate die Küche. Der Mann reagierte verblüfft auf den Anblick des eleganten jungen Mädchens, sprang auf und fuhr sich glättend mit der Hand über das Haar.
    »Das ist Katherine MacIntyre, unsere Tochter«, sagte Harold. »Und das ist Wally Simpson – aus Bangalow an der Nordküste. Wir sind alle zusammen aufgewachsen.«
    Wally lachte. »Das waren Zeiten, was, Harry? Wir waren damals ganz schöne Rowdys«, meinte er zu Kate.
    »Nun mal langsam, Wally – so lange ist das noch nicht her.«
    »Das stimmt – ich bin immer noch jung genug, mich zum Militär zu melden«, meinte er glucksend. »Na ja, so genau nehmen sie’s auch nicht, vorausgesetzt, du hast zwei gerade Füße, ein halbwegs gesundes Herz und bist nicht vollkommen blind. Enid, meine Frau, hält mich natürlich für verrückt. Lässt euch übrigens herzlich grüßen.«
    Mrs. Butterworth stellte die Teekanne auf den Tisch. »Du hast dich freiwillig gemeldet, Wally? Um … nach da drüben zu gehen … und zu kämpfen?«
    »So sieht es aus, Gladys – den Hunnen eins auf die Mütze geben.« Er wurde ernst. »Deswegen bin ich auch hier. Und nicht nur ich, wir sind ein ganzer Trupp. Ich bin so was wie die Vorhut, und bevor wir in Sydney einfallen,

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