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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Bäume waren von Mondlicht übergossen, die Umrisse der Villa hoben sich gegen den sternenübersäten Nachthimmel ab. Sie drehte sich um und ging in Richtung des versunkenen Gartens, wo das Wasser im Becken klar und spiegelglatt war. Riesige, tellergroße Seerosen blühten seltsamerweise in der Nacht, die Sonnenuhr strahlte und schimmerte, der Duft der Rosen hing in der Luft, und das Gras roch frisch gemäht. Die Gärten sahen gepflegt aus, das Haus frisch gestrichen.
    Odette ging auf das indische Haus zu, und dort bei den Stufen stand mit einem Lächeln im Gesicht ein schlanker junger Mann. Erinnerungen an den Sohn des Verwalters, die Haltung seines Kopfes, sein scheues Lächeln, durchströmten sie. Er sah ihr erwartungsvoll entgegen, als Odette auf ihn zuging.
    »Odette …? Odette?«
    Ihr Name, woher wusste er ihren Namen? Sie hatte ihn ihm nie genannt.
    »Odette?«
    Die Vision des indischen Hauses und der Gestalt bei den Stufen begann zu wabern und zu verblassen. Odette zwinkerte. Die gelben und orangenfarbenen Karos der Wachstuchdecke füllten ihr Blickfeld. Sie hob den Kopf. Sie saß in der Küche, neben ihr stand Tante Harriet, rüttelte sie an der Schulter und rief ihren Namen.
    »Odette … du bist eingeschlafen. Es ist schon weit nach Mitternacht, geh zu Bett, Kind.«
    »Oh.« Odette sah sich mit verwirrtem Blick um.
    »Alles in Ordnung? Du bist nicht mit deinen Freunden ausgegangen?«
    Odette schüttelte den Kopf, stand auf und streckte die Arme.
    Ihre Tante band den Gürtel ihres Chenille-Morgenmantels fester. »Schlaf dich morgen aus. Es ist ein Feiertag, und du sagtest, du müsstest nicht arbeiten.«
    Odette nickte schläfrig und ging zur Tür.
    »Glückliches neues Jahr, Odette.«
    »Dir auch, Tante Harriet.« Sie gähnte und verließ die Küche.
    Die alte Frau stand in der Mitte der Küche und spürte, wie ein Gefühl der Verlassenheit sie überkam. Das Mädchen, das sie als ihr eigenes aufzuziehen gehofft hatte, das sie hatte formen und lenken wollen, war verschwunden. An seine Stelle war eine willensstarke junge Frau getreten, die sie kaum kannte. Sie waren durch Blutsbande miteinander verbunden, doch unfähig, einander Zuneigung zu zeigen. Sie waren immer noch Fremde. Harriet seufzte, knipste das Küchenlicht aus und ging langsam zurück zu ihrem schmalen, ordentlich gemachten Bett.
     
    Zac kehrte zurück, blieb aber vage in seinen Äußerungen über seine Abwesenheit. Er umarmte Odette, als sie allein beim Fluss waren, und sagte ihr, seine Zigeunerfamilie ließe sie grüßen.
    »Du hast sie gesehen? Wo sind sie?«
    »Im Norden. Es geht ihnen allen gut.« Er wechselte das Thema. »Schau, was ich mir gekauft habe.« Er hielt ihr eine neue Gitarre hin. »Hör mal.« Er ließ seine langen braunen Finger über die Saiten gleiten. Langsam begann er, einen eindringlichen Rhythmus zu zupfen, der schneller und stärker wurde, während seine Finger über die Saiten flogen. Er schloss die Augen, hielt den Kopf tief über das Instrument gebeugt und ergab sich dem Klang der feurigen Musik.
    Er endete mit einem lauten Akkord, und Odette applaudierte. »Das war atemberaubend, Zac. Ich wusste nicht, dass du so spielen kannst.«
    »Flamenco. Der hat für uns eine lange und uralte Tradition. Aber ich bin nicht so gut im Vergleich zu den wirklichen Könnern. Das hier ist meine Musik …« Er sang ihr ein Lied, das er geschrieben hatte und das den Titel »Der Weg zu den Träumen und Hoffnungen« trug. Als er geendet hatte, sah er sie wehmütig an. Odette wusste, dass er nach den Worten suchte, die er ihr sagen musste. Er konnte sie singen, aber nur schwer aussprechen.
    »Wohin führt dich dein Weg, Zac?«, fragte sie schließlich leise.
    Er schaute in die Ferne. »Ich weiß es nicht genau. Aber es ist Zeit, Odette. Ich muss fort.«
    Sie nickte. »Ich weiß. Ich habe es gespürt. Werde ich dich wiedersehen?«
    »Selbstverständlich. Ich werde immer ein Teil deines Lebens sein, Odette. Aber du hast deinen Weg und ich meinen.«
    »Können wir nicht zusammen gehen?« Ihre Stimme zitterte.
    »Ach, kleiner Vogel.« Er nahm sie in die Arme und wiegte sie. »Du und ich, wir können nicht zusammen sein. Unsere Bestimmung ist nicht dieselbe, aber unsere Freundschaft wird immer bestehen. Selbst wenn einige Zeit vergeht, bevor wir uns wiedersehen.«
    »Das gefällt mir nicht«, kam ihre erstickte Antwort.
    Er lachte leise und hob ihren Kopf an, den Finger unter ihrem Kinn. »Du wirst eine gute Reporterin werden. Du wirst

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