Das Dornenhaus
fühlte sich träge, war gelangweilt, deprimiert. Sie vermisste Zac. Ihr Leben schien zu stagnieren. Sie war einsam und wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte, um Antworten zu bekommen oder ihrem Leben eine Richtung zu geben.
»Odette …?«
Sie schreckte hoch. Mr. Fitzpatrick stand neben ihrem Schreibtisch, seine Ärmel waren hochgerollt und mit elastischen Ärmelhaltern befestigt, der Kragen offen und der Schlips gelöst.
»Ich bin schon weg, Mr. Fitz.« Sie sprang auf.
»Immer mit der Ruhe, Mädchen. Komm mit in mein Büro.« Er wirkte ernst. Mit sinkendem Herzen folgte ihm Odette, instinktiv mit Notizblock und Stift bewaffnet.
Er deutete auf den Besucherstuhl, setzte sich hinter den Schreibtisch, zog die Brille vom Kopf und schob sie sich auf die Nase. »Wollen wir mal sehen … wo hab ich es denn …?« Er wühlte in den vor ihm liegenden Papieren. »Ah ja.« Er glättete einen Brief, faltete seine Hände darüber und sah Odette über den Brillenrand hinweg an. »Wie ernst ist es dir wirklich mit dem Journalismus? Welche Pläne hast du?«
»Pläne? Was meinen Sie damit?«
»Weich nicht aus, gib mir einen klare Antwort. Willst du nun Reporterin werden oder nicht?«
Odette brauste auf. »Ja, ich will Reporterin werden. Und eine verdammt gute dazu. Ich will mir einen Namen machen. Ich weiß zwar noch nicht, wie ich das erreichen soll, aber ich werde es erreichen.«
Sie richtete sich auf, nachdem sie die Sätze hervorgesprudelt hatte, und sah dem Chefredakteur direkt in die Augen, die Schultern trotzig zurückgenommen und mit einem entschlossenen Zug um ihren Mund.
Die Lippen des Chefredakteurs verzogen sich leicht amüsiert, und er reichte ihr den Brief. »Das könnte vielleicht zur Klärung der Sache beitragen.«
Verwirrt nahm sie den Brief und blickte auf den kunstvoll gestalteten Briefkopf der Australischen Zeitungsgesellschaft mit Sitz in Sydney. In dem an Mr. Fitzpatrick adressierten Brief war zu lesen, dass man gerne bereit sei, Miss Odette Barber als Volontärin einzustellen, sobald es sich machen ließ. Sie würde an einer vierjährigen Ausbildung teilnehmen, die alle Aspekte des Journalismus beinhaltete … Sie würde der Abteilung der Frauenzeitschriften zugeteilt werden, wahrscheinlich der
Women’s Gazette
. Unterzeichnet war der Brief von George Mendholsson, dem Chefredakteur.
Odette konnte kaum sprechen. Noch einmal überflog sie den Brief. »Was bedeutet das alles … Wie …?«
Mr. Fitzpatrick grinste und lehnte sich triumphierend im Stuhl zurück. »Lass mich dich von deinen Leiden erlösen. Ich hab immer noch ein paar Kontakte in der Pressewelt. Ich hab denen eine Kopie deines Zigeunerartikels geschickt und ein bisschen von dir erzählt und vorgeschlagen, sie sollten dich in Betracht ziehen, wenn eine Volontärsstelle frei würde. Du hast es geschafft, junge Dame.«
»O Mr. Fitz, ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Tränen traten ihr in die Augen.
»Du solltest besser anfangen, Pläne zu machen. Du musst eine Unterkunft finden, am besten mit jemand zusammen. Viel wirst du nicht verdienen, weißt du. Aber ich schätze, du wirst bald genug auf die Füße kommen.« Er kam um den Schreibtisch herum und streckte die Hand aus. »Du bist auf dem richtigen Weg, Mädchen. Herzlichen Glückwunsch!«
Odette schüttelte seine Hand, sprang dann impulsiv auf und fiel ihm um den Hals. »Wie kann ich Ihnen je dafür danken?«
»Immer mit der Ruhe«, lachte er. Dann legte er ihr die Hände auf die Schultern und sagte leise: »Du kannst mir danken, indem du dich bewährst und deine Träume nicht aus den Augen verlierst. Enttäusche deinen alten Chefredakteur aus dem Busch nicht. Ich hoffe, ich hab dir das eine oder andere beigebracht.«
»Das haben Sie. Mehr als Sie denken, Mr. Fitz.«
Er wandte sich ab und machte sich mit den Papieren auf seinem Schreibtisch zu schaffen. »Na gut, junge Dame, an die Arbeit. Du kommst zu spät zur Stadtratssitzung«, sagte er barsch.
»Das schaff ich schon!« Odettes Stimme war voller Kraft, Glück und Selbstvertrauen, energiegeladen eilte sie aus dem voll gestopften Kabuff, das dem Chefredakteur als Büro diente.
»Das wirst du. Darauf wette ich.« Lächelnd sah er ihr nach, als sie an ihren Schreibtisch lief, sich ihre Handtasche schnappte und zur Treppe rannte.
Tante Harriet befingerte den Brief der Australischen Zeitungsgesellschaft, als enthielte er so etwas wie eine ansteckende Krankheit. »Das ist ja alles schön und gut, Odette,
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