Das Dornenhaus
Ich habe schon viele Leben vor diesem gelebt.«
»Hör auf, dich über mich lustig zu machen, Zac.« Sie umarmte ihn noch fester.
»Ich mache mich nie über dich lustig.« Sanft machte er ihre Arme los und rollte sich von ihr herunter. Er griff nach ihren Sandalen und zog sie ihr an. »Lass uns einen Spaziergang durch den Busch machen.«
Hand in Hand gingen sie am Fluss entlang zu den wenigen Hektar Regenwald, die es in der Nähe der Stadt noch gab. Sie folgten einem kleinen Pfad in das kühle Innere des Waldes. Das fast undurchdringliche Blätterdach verwehrte ihnen den Blick auf den Himmel, und in der dunklen, feuchten Stille fühlten sie sich wie in einer vorgeschichtlichen Welt. Sie drängten sich enger aneinander wie zwei Kinder, die sich in einem fremden Land verlaufen haben.
Zac blieb stehen und sah an einem uralten Carabeenbaum hinauf, dessen hoch aufragender Stamm mit Flechten bedeckt war. Dicke Ranken wanden sich spiralförmig um den Stamm und verloren sich weit oben im dichten Laubdach.
»Sieht wie ein Zauberbaum aus«, meinte Zac.
»Ein Zauberbaum?«
»Ja. Geh dreimal um ihn herum und sprich dabei einen Wunsch aus. Er wird in Erfüllung gehen.«
Odette lachte. »Gut, mach ich.« Über die dicken Wurzeln stolpernd, umrundete sie den Baum und murmelte dabei vor sich hin.
Indessen bückte sich Zac, grub eine Hand voll Erde unter den vermoderten Blättern aus und formte sie zu einer Kugel. Dann brach er ein bisschen trockene Rinde von einem der Bäume in der Nähe ab, holte eine Schachtel Zündhölzer aus der Tasche und hatte gleich darauf ein kleines Feuer in Gang gebracht.
Odette beobachtete ihn neugierig. Als eine dünne Rauchfahne von dem Feuerchen aufstieg, riss er Odette eines ihrer rotgoldenen Haare aus und ebenfalls eines aus seinem glänzend schwarzen, schulterlangen Haarschopf. Er drückte die Haare in die Schlammkugel und ließ sie ins Feuer fallen. Schweigend sahen sie zu, wie Dampf aufstieg, als das Wasser in der Hitze verdunstete.
»Ich nehme an, du wirst mir gleich sagen, was das alles zu bedeuten hat?«
»Ja, gleich. Hab Geduld, kleiner Vogel.«
Als das Feuer herabgebrannt war, rollte Zac die Kugel mit einem Stock heraus und kratzte ein kleines Loch in den Waldboden. Er schob die Kugel hinein und bedeckte sie mit Erde. Dann griff er nach Odettes Hand, legte sie zusammen mit der seinen auf das Hügelchen und sagte leise: »Erde, Feuer, Wasser, Luft – die, deren Geist hier ruht, sind unter dem immer währenden Lauf von Sonne und Mond verbunden.«
Ein leichter Schauer überlief Odette, als Zac sie hochzog.
»So, jetzt sind wir für immer miteinander verbunden.«
»Wirklich?«
»Wenn du daran glaubst.« Er lächelte sie verschmitzt an. »Oder tu es als Zigeuner-Hokuspokus ab.«
»Was bedeutet es, Zac?«
»Nichts Schlechtes, Odette. Nur, dass wir für immer Freunde sein werden.«
»Das ist gut. Aber dafür hättest du keinen Zauber machen müssen!«
Zac antwortete nicht, sondern zog ihr eine Grimasse und lief davon. Im Spaß jagte Odette ihm nach, doch tat sie die kleine Zeremonie nicht als Albernheit ab. Tief in ihrem Inneren fühlte sie sich mit Zac verbunden, und der Gedanke machte sie ungemein glücklich.
Odette traf sich weiterhin regelmäßig mit Zac. Er schien damit zufrieden zu sein, in der Stadt zu bleiben und in der Schmiede zu arbeiten, und sagte mit einem Grinsen, dass er noch nie so lange an einem Ort gewesen sei.
Tante Harriet missbilligte die Freundschaft ihrer Nichte mit »diesem Zigeuner« ganz und gar. Sie hatte ihn aufgrund des Fotos in Odettes Artikel wieder erkannt, warnte sie vor »den diebischen Angewohnheiten dieser Leute« und meinte, obwohl er ja »ein gut aussehender Bursche« sei, hätte er bestimmt »eine silberne Zunge, also nimm dich in Acht, Odette«. Odette hatte nur mit den Schultern gezuckt, in den Worten ihrer Tante erkannte sie die versteckte Warnung, dass er ihr sexuelle Avancen machen könnte.
»Er ist mein Freund, Tante Harriet, und ich werde mich auch weiterhin mit ihm treffen.« Ruhig war sie in ihr Zimmer gegangen. Tante Harriet war mit verkniffenem Mund in die Küche gegangen, um Tee zu machen. Odette wurde für Harriets Geschmack zu unabhängig, und sie wusste nicht recht, wie sie mit dieser neuen Odette umgehen sollte.
Zac und Odette machten ausgedehnte Picknicks, gingen zusammen schwimmen, er lieh sich ein Pferd und brachte ihr das Reiten bei, er sang ihr vor, und sie redeten stundenlang miteinander. Er öffnete geistige
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