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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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sich um Mama.«
    »Hannahs Mutter ist auch Putzfrau«, sagte Jago.
    Das stimmte zwar, aber ich wünschte, Jago hätte es für sich behalten. Es war, als wäre plötzlich der Glanz dieses Morgens verblasst. Ellen sollte nicht wissen, dass meine Mutter einen Kittel trug und ihre Tage damit zubrachte, die Böden und Toiletten anderer Menschen zu schrubben, und dass sie raue Hände und fleischige Oberarme hatte und nach Bleichmittel roch. Nein, Ellen sollte mich für ebenbürtig halten.
    Ellen sah mich neugierig an, aber ich drehte das Gesicht weg, denn ich hatte keine Lust, das Thema weiter auszuführen.
    Bei der Tankstelle kauften wir uns Lutscher, dann gingen wir zur Kirche, wo wir uns auf die Mauer setzten. Von hier hatte man einen herrlichen Blick auf das glitzernde Meer, das sich jenseits der Felder und Wiesen erstreckte. Ellen löste vorsichtig das Papier von ihrem Lutscher und warf es hinter sich in den Kirchhof.
    »Wo wohnt ihr beiden?«, fragte sie.
    »Dort unten.« Jago deutete mit dem ausgestreckten Finger in Richtung der Cross Hands Lane. Man konnte die kieselverputzten Cottages nicht sehen, nur die schiefergrauen Dächer schimmerten am Fuß des Hügels zwischen den Baumkronen hindurch.
    »Unser Häuser sind aneinandergebaut«, sagte Jago.
    »Es sind Reihenhäuser«, erklärte ich.
    Das schien Ellen zu beeindrucken. Ich leckte an der unteren Seite meines Lutschers, von dem es klebrig auf meine Hand tropfte, und lächelte Jago an. Er lächelte ebenfalls.
    Ellen beobachtete uns. Ich näherte mein Bein seinem und spürte, wie die raue Mauer an meinem Schenkel kratzte.
    »Erzählt mir von euren Familien«, sagte Ellen.
    »Meine Mama hatte Krebs und ist gestorben, und mein Vater hat sich aus dem Staub gemacht«, sagte Jago, ohne aufzuschauen. »Ich lebe bei meinem Onkel und meiner Tante. Er ist ’n Scheißkerl und sie ’ne Schlampe.«
    »Oh«, sagte Ellen und machte große Augen. »Wie traurig.«
    Jago zuckte mit den Schultern.
    »Wow!« Ellen ließ die Beine vor- und zurückschwingen, als müsse sie diese Information erst verdauen. »Ich habe noch nie ein Kind gekannt, dessen Mutter schon gestorben ist.« Sie wandte sich an mich. »Und deine Familie?«
    »Nichts Aufregendes, wirklich. Eine stinknormale Familie. Ich habe eine Mum und einen Dad, keine Geschwister.«
    »Wie ich«, erwiderte Ellen. Sie lächelte mir freundlich zu. Es war eine Gemeinsamkeit. Nicht viel, nur eine Äußerlichkeit, aber immerhin.

FÜNF

    D ie Dunkelheit waberte wie Nebel um meine Beine, und ich fror an den nackten Füßen. Ich hatte mich im hinteren Garten von Thornfield House versteckt. Es war in der Abenddämmerung oder vielleicht auch im Morgengrauen, jedenfalls hatte der Himmel die Farbe eines Blutergusses. Bäume und Büsche wurden schaurig vom flackernden Licht der Kerzen erhellt, die in Drahtkerzenhaltern an Ästen hingen. Wir spielten in der Dunkelheit eine Mördergeschichte, und Mr   Brecht war der Mörder. Er hatte bereits Jago und Ellen und Mrs   Brecht und Adam Tremlett, den Gärtner, erwischt und ihnen die Kehlen aufgeschlitzt; ihre blutigen Leichen lagen auf der Terrasse neben dem Teich übereinander. Nur ich war noch am Leben und stand, an den Stamm einer alten Trauerweide gepresst, im Schutz ihrer herabhängenden Zweige. Ich komme, Hannah!, rief Mr   Brecht sanft. Ich kriege dich! Ich spähte zwischen den Weidenzweigen hindurch und sah, wie er sich in der Dämmerung näherte. Das strahlende Lächeln in seinem Gesicht ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, und er versteckte die Hände, in denen er ein Messer hielt, hinter dem Rücken. Als er langsam auf mich zukam, wich ich vor ihm zurück. Ich hielt den Atem an und spürte die Erde unter meinen Füßen. Mit Fersen, Sohlen und Zehen tastete ich mich behutsam rückwärts, als bewegte ich mich über Glasscherben. Ich weiß, wo du bist, Hannah!, rief Mr   Brecht. Dann, in einem unbedachten Moment, rutschte ich aus und fiel rücklings ins Wasser. Ich spürte, wie Ellens kleine, kalte Hände mich an den Fesseln festhielten und sich ihre Fingernägel in meine Knochen gruben, während sie mich unerbittlich mit sich in die Tiefe zog, weg vom Licht und immer weiter hinab in die düstere Tiefe. Zu spät wurde mir klar, dass sie mich hereingelegt hatten, Ellen und ihr Vater. Sie war gar nicht tot, sie hatten nur so getan, und er hatte mich abgelenkt, während sie sich von hinten herangeschlichen hatte. Sie steckten unter einer Decke, Vater und Tochter, so wie ich es schon

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