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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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Hauses machte einen düsteren Eindruck, es wirkte dunkler als sonst. Keine Musik spielte, alle Fenster waren geschlossen, nirgendwo war Tante Karla zu sehen, die normalerweise im Hintergrund fröhlich irgendetwas erledigte.
    »Guten Morgen, Mrs   Todd«, sagte ich. »Ist Ellen da?«
    Mrs   Todd öffnete den Mund, und ich fürchtete schon, sie wolle mich wieder fortschicken, schloss ihn dann aber wieder. Hinter ihr tauchte Ellen im Halbdunkel des Flurs auf. Sie trug ein langes weißes Nachthemd und sah aus wie ein Gespenst. Ihre Haar hing ihr strähnig um die schlaffen Schultern, ihre langen, schlanken Füße waren nackt, und ihre Augen lagen tief in den Höhlen, als habe sie sich die Seele aus dem Leib geweint. Sie hatte die Arme um den Körper geschlungen, als sei ihr kalt. Sie sah aus wie eine Gefängnisinsassin.
    »Was ist passiert?«, fragte ich im Flüsterton. »O Gott, was ist denn los?«
    Ich schob mich an Mrs   Todd vorbei, die kaum merklich zurücktrat. Als ich auf Ellen zuschritt, hörte ich, wie die Tür leise geschlossen wurde. Ich zog sie in meine Arme. Steif wie eine Puppe ließ sie mich gewähren. Sie roch ungewaschen, aber ich meinte noch etwas anderes an ihr wahrzunehmen, einen leicht metallischen, milchigen Geruch. Ihr Haar an meiner Wange fühlte sich fettig an. Ich nahm sie an der Hand und führte sie in die Küche. Sie hinkte. Ich zog einen Stuhl heran und half ihr, sich an den Tisch zu setzen. Es war, als müsste ich ihre Hüfte und Knie beugen und sie förmlich auf den Stuhl drücken. Dann tat ich, was meine Mutter in dieser Situation auch getan hätte: Ich füllte den Wasserkessel und stellte ihn auf den Herd. Auf dem Tisch stand bereits eine volle Tasse Tee, auf dem sich eine dunkle Haut gebildet hatte. In der Küche war es dunkel und kalt, und es roch salzig nach Schinken, der in einer großen Kasserolle auf einer Herdplatte köchelte. Auf dem Fenstersims stand eine Vase mit verwelkenden Flockenblumen, Margeriten und gelbem Jakobskraut. Tante Karla musste sie dort hingestellt haben, denn Mrs   Todd bevorzugte andere Blumen, und sie verströmten einen fauligen Geruch.
    Einen flüchtigen Moment fragte ich mich, ob Peter Brecht gestorben war. Hatte er sich vielleicht umgebracht oder war bei einem Autounfall ums Leben gekommen? Nein, das war nicht möglich. Dann hätte Mrs   Todd etwas gesagt. Mit Jago konnte auch nichts passiert sein, denn er war im Morgengrauen zur Arbeit gegangen. Er hatte gepfiffen, als er das Haus verließ, und ich hatte gehört, wie er die Tür seines Escorts zuschlug und den Motor anließ. Wenn ihm etwas zugestoßen wäre, hätte ich es vor Ellen erfahren.
    »Wo ist Karla?«, fragte ich. »Ist ihr etwas passiert?«
    »Sie ist nach Deutschland zurückgekehrt«, sagte Mrs   Todd.
    Ellen sah hoch. »Papa hat sie zurückgeschickt.«
    »Oh.«
    Ich nahm drei Becher von den Haken am Küchenregal und sah über die Schulter zu Ellen. Die Hände zwischen den Schenkeln saß sie nach vorn gebeugt da, das Haar fiel ihr vors Gesicht. Ihre Füße waren schmutzig. Mrs   Todd stand im Türrahmen. Ich gab einen Löffel Kaffeepulver in jeden Becher und füllte sie, als der Kessel pfiff, mit kochendem Wasser auf. Dann nahm ich eine Milchflasche aus dem Kühlschrank und goss ein wenig davon in jeden der Becher. Ich stellte die Milch zurück, rührte drei gehäufte Kaffeelöffel Zucker in Ellens Becher und stellte ihn vor sie hin. Ellen bewegte sich nicht.
    »Was ist passiert?«, fragte ich Mrs   Todd.
    Ellen sah abermals hoch und hielt den Zeigefinger an die Lippen.
    »Sei leise, Papa ist oben«, sagte sie im Flüsterton.
    Mrs   Todd stand noch immer im Türrahmen, und weil das Licht im Flur so diffus war, konnte ich nur ihre Silhouette erkennen und wie sie die Lippen bewegte, nicht aber ihre Miene.
    »Ellen hat sich in Schwierigkeiten gebracht«, sagte sie ruhig.
    »Was für Schwierigkeiten?«, fragte ich sanft, setzte mich vor Ellen hin und nahm ihre Hände in meine. Ich drückte sie aufmunternd, aber sie zeigte keine Reaktion. Sie waren eiskalt und schlaff wie die einer Toten.
    »Ich bin schwanger«, wisperte Ellen.

NEUNUNDVIERZIG

    A ls ich nachts in meinem Hotelzimmer lag, dachte ich an Mrs   Todd. Ich rief mir ins Gedächtnis, wie treu ergeben sie den Brechts gewesen war, wie sie Ellen zuliebe nach dem Tod von Mrs Brecht bei der Familie geblieben war, wie sie immer versucht hatte, Ellen zu beschützen. Als Kind hatte ich Angst vor ihr gehabt, aber als Erwachsene hatte ich

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