Das Dornenhaus
Brechts, erzählt. Sie hatte einen Schlaganfall und lebt jetzt in einem Pflegeheim außerhalb von Magdeburg. Ich würde sie gern besuchen und ihr Blumen bringen.«
»Und ist es problematisch, dorthin zu gelangen?«
»Schon, aber …«
»Ich könnte dich begleiten«, sagte John. Er kratzte sich am Kopf. »Wir könnten einen Wagen mieten. Das wäre das Einfachste.«
»Und was ist mit der Konferenz?«
»Heute Morgen steht nur ein Workshop über interaktiven-interpretativen Tourismus auf dem Programm. Nicht gerade ein Thema, das mich brennend interessiert.«
Ich atmete langsam aus. »Du sollst aber nicht wegen mir deine Zeit verschwenden, John. Du könntest sie anderweitig bestimmt besser nutzen.«
»Nein, keine Sorge. Wir könnten als Erstes diese Mrs Todd besuchen, dann essen wir in Magdeburg zu Mittag, machen einen Abstecher nach Schloss Marienburg und können rechtzeitig zur Abendveranstaltung zurück sein.«
»Aber warum willst du das tun, John?«
»Ich könnte bei dieser Gelegenheit ein bisschen was vom Land sehen. Lass es uns tun. Im Grunde ist eine Konferenz wie die andere, und ich habe schon einige mitgemacht, das kannst du mir glauben.«
Ich hatte jedoch das Gefühl, dass er mich nur beschwichtigen wollte, damit ich kein schlechtes Gewissen hatte. Ein Gefühl der Dankbarkeit wallte in mir auf.
»Danke«, sagte ich.
»Keine Ursache.« John lächelte. »Fühlt sich irgendwie nach einem Abenteuer an.«
FÜNFZIG
E llens Worte waren so schockierend, dass ich einen Moment lang sprachlos war. Sie hielt den Kopf noch immer gesenkt und sah mich nicht an, aber sie musste meine Anspannung an meinen Händen gespürt haben. Ich fragte mich, warum sie mir nicht früher etwas gesagt hatte, doch dann wurde mir klar, dass sie sich wahrscheinlich überhaupt niemandem anvertraut hatte. Mrs Todd, die Ellens Wäsche erledigte und sich auch sonst um sie kümmerte, musste wohl selbst darauf gekommen sein, dass Ellen schwanger war. Und im Nachhinein erinnerte ich mich an eine Reihe von Anzeichen, die mich hätten stutzig machen müssen: Ellens Blässe, ihre Müdigkeit, die Tatsache, dass sie zugenommen hatte, dass sie in letzter Zeit so still gewesen war. Wäre ich öfter mit ihr zusammen gewesen, wäre es mir bestimmt aufgefallen.
Den Grund meines Besuchs hatte ich inzwischen völlig vergessen. Im Vergleich zu Ellens Situation waren meine Neuigkeiten völlig bedeutungslos.
»Ellen hat sich heimlich mit deinem Bruder getroffen«, sagte Mrs Todd in ruhigem Tonfall. »Offensichtlich waren sie nicht besonders vorsichtig.«
Ich sah sie an. Ihr Gesicht lag noch immer im Halbdunkel des Flurs.
»Kann ich bitte allein mit Ellen sprechen, Mrs Todd?«
»Dafür ist wohl keine Zeit. Mr Brecht kann jeden Augenblick herunterkommen. Er darf auf keinen Fall …«
»Er darf es nicht wissen«, sagte Ellen flüsternd. »Er wird Jago umbringen, wenn er es herausfindet.«
»Ellen braucht deine Hilfe«, sagte Mrs Todd.
»Was sollen wir denn jetzt machen?«, fragte ich. Ich sah keinen Ausweg aus dieser Situation. Einen Moment lang war ich wütend auf Ellen. Wie hatte sie es nur so weit kommen lassen können? Und Jago genauso. Wie konnten sie nur so unverantwortlich sein? So unbedacht. So dumm. Wie konnte sie sich nur in solche Schwierigkeiten bringen, wo es in meinem Leben endlich mal so gut lief?
Mrs Todd seufzte. Sie trat in die Küche und stellte sich hinter Ellen. Nervös umfasste sie mit den Händen die Stuhllehne. Ich hatte Mrs Todd noch nie so unruhig erlebt, und das machte mich noch beklommener.
»Es ist noch nicht zu spät …« Mrs Todd zögerte, als wäge sie die Wahl ihrer Worte genau ab. »Was ich meine, ist, dass es noch immer eine Lösung für das Problem gibt.«
»Man kann das Problem loswerden«, wisperte Ellen, die den Kopf nach wie vor gesenkt hielt, aber den Blick hob und mich ansah. Sie war leichenblass, ihre Augen waren umschattet, und sie sah so gequält aus, dass es mir in der Seele wehtat.
»Mr Brecht darf es auf keinen Fall erfahren«, sagte Mrs Todd. »Deines Bruders wegen, Hannah, aber auch wegen Ellen.« Ein leiser, erstickter Laut drang aus ihrer Kehle, und ich erinnerte mich wieder, dass es Mrs Todd gewesen war, die Ellen gefunden hatte, als sie sich über den blutenden Körper von Adam Tremlett beugte, der auf dem Holzboden im Salon lag. Sie hatte saubere Handtücher an dessen Wunde gepresst, um den Blutstrom einzudämmen, während sie auf den Krankenwagen
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