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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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blickten. Eine einsame Möwe segelte am spätabendlichen Himmel.
    »Keine Ahnung.«
    »Würde es dir helfen, wenn du mit ihnen reden könntest?«
    »Vielleicht. Ellens Vater würde ich nicht gern wiedersehen, aber Ellens Tante, Karla hieß sie, schon. Vielleicht würde sie sich an mich erinnern.«
    »Hast du sie gemocht?«
    »Ja. Und auch Mrs   Todd, die langjährige Haushälterin von Ellens Familie.«
    »Ist sie auch nach Deutschland gezogen?«
    »Ich glaube schon. Sie hat schon immer für die Brechts gearbeitet, sie waren für sie wie eine Familie.«
    Ich aß den letzten Rest meines Apfelküchleins, knüllte die Papiertüte zusammen und betrachtete John in seinem feinen Abendanzug. Der Wind hatte sein Haar zerzaust, sodass es wieder so wirr wie immer war. Ein Bartschatten lag auf seinem Kinn.
    »Früher hatte ich Angst vor Mrs   Todd«, sagte ich. »Aber sie hat für Ellen getan, was sie konnte. Sie hat auch für sie bezahlt …«
    »Wofür?«
    »Ach nichts.«

ACHTUNDVIERZIG

    I ch war so glücklich wie noch nie. Mir war, als hätte ich mein altes Leben, das mich so sehr eingeengt hatte, abgestreift wie eine Libellenlarve ihre Hülle. Nichts von all dem, was zuvor geschehen war, schien noch eine Bedeutung zu haben. Ich war achtzehn, hatte einen Freund, der mich abends mit seinem Wagen abholte und mit mir nach Falmouth fuhr, um in einen Pub oder ins Kino zu gehen. Ich war mit der Schule fertig und hatte einen Plan für die Zukunft – einen guten Plan, wie ich fand. Kurz und gut, mein Leben war zum ersten Mal ziemlich perfekt.
    Gewiss, ich dachte noch immer an Mr   Brecht, aber er war jetzt nicht mehr so wichtig für mich. Mit einem Mal erschien es ermüdend, davon zu träumen, ihn zu heiraten und ihm den Weg zurück zum Glück zu weisen, im Vergleich zu dem Hochgefühl und dem Kitzel meines neuen Lebens im Hier und Jetzt, dem Spaß, den ich mit Ricky hatte.
    Ich schrieb einen wohlüberlegten Brief an den Professor, der die chilenischen Ausgrabungen leitete, in dem ich mich um eine Volontärsstelle bewarb. Meinen Eltern hatte ich noch nichts gesagt, aber sie mussten etwas geahnt haben. Ich wusste, dass meine Mutter tun würde, als freute sie sich, in Wahrheit aber untröstlich wäre, wenn ich nach Südamerika ging. Sie hatte mich auf die Idee gebracht, aber wahrscheinlich nicht erwartet, dass ich sie in die Tat umsetzen würde. Noch immer sah sie in mir das stille, schüchterne Kind, das nie auf Abenteuer aus war. Wie erstaunt wäre sie gewesen, hätte sie gewusst, dass, wenn ich im Seagull Hotel staubsaugte, Papierkörbe leerte und klebrige Frühstückstische abwischte und dabei daran dachte, bald ein Flugzeug zu besteigen und den Atlantik zu überqueren, mein Herz schneller schlug. Oftmals musste ich innehalten und tief durchatmen, um mich wieder zu beruhigen, so aufgeregt war ich, wenn ich mir mein bevorstehendes Abenteuer ausmalte.
    Ricky holte mich fast jeden Abend ab. Während ich neben ihm im Wagen saß, erzählten wir uns ausführlich, was wir erlebt hatten. Ich lachte über die Witze, die er zum Besten gab, auch wenn sie, im Nachhinein betrachtet, nicht besonders lustig und geistreich waren. Er nahm mich unentwegt auf den Arm, war lieb zu mir, wenngleich auch ein wenig gönnerhaft, und sorgte dafür, dass es mir gut ging. Ich hatte keine Ahnung, dass es möglich war, sich so glücklich zu fühlen. Noch nie hatte ich so viel Energie und das Gefühl in mir gespürt, alles erreichen zu können, als stehe mir die Welt offen.
    Gemeinsam gingen wir in ein Reisebüro in Falmouth, wo wir uns nach einem billigen Flug nach Chile erkundigten. Die Angestellte fragte nach unseren Reiseplänen, und als wir von der Ausgrabung erzählten, sagte sie, sie wünschte, sie hätte ebenfalls ein solches Abenteuer unternommen, als sie jung war. Man meine immer, es wäre noch Zeit genug, solche Dinge zu tun, nur um eines Tages aufzuwachen und festzustellen, dass man verheiratet war und drei Kinder hatte, eine Hypothek auf dem Haus abbezahlen musste, man erschöpft von all den Belastungen war – kurz und gut, dass der Zug abgefahren war. Ricky und ich lächelten uns an. Wir waren insgeheim stolz, es nicht auf später aufzuschieben. Die Angestellte druckte eine Liste von möglichen Flügen aus und reichte sie mir. Aber auch der günstigste Flug war teurer, als ich erwartet hatte. Ich würde also jeden Penny sparen müssen, den ich bis zum September verdienen konnte, wenn ich zusammen mit Ricky an der Ausgrabung teilnehmen

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