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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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Mädchen, wie hast du uns gefunden? Wie bist du hergekommen?«, fragte sie, während sie mich an den Schultern hielt und in Augenschein nahm.
    »Ellen hat mir mal eine Postkarte von hier geschickt.«
    »Und wer ist das?«, fragte Karla mit einem bedeutsamen Blick in Richtung John, der respektvoll hinter mir wartete.
    »Das ist John.«
    »Ein attraktiver Mann«, sagte sie mit einem anerkennenden Lächeln. »Dein Ehemann?«
    »Nein, nein.« Ich verbarg meine Verlegenheit hinter einem nervösen Lachen. »Wir arbeiten zusammen.«
    »Ihr Chauffeur«, warf John schmunzelnd ein.
    »Nein, ein Kollege und Freund«, sagte ich.
    Die beiden schüttelten sich die Hände. Doch Tante Karla ließ es sich nicht nehmen, ihn auch noch auf die Wangen zu küssen. »Kommt herein. Die Mädchen und ich sitzen auf der Terrasse in der herrlichen Sonne.«
    Wir folgten ihr in das kühle Halbdunkel der Eingangshalle. Das Innere des Schlosses war, wie ich es mir vorgestellt hatte: hohe Decke, offen liegende Balken, Steinmauern, aber dennoch strahlte es eine freundliche, behagliche Atmosphäre aus. Gern hätte ich mir das eine oder andere Detail länger angeschaut, aber ich folgte Karla in einen luftigen Salon – in dem ich den Raum wiedererkannte, wo das Foto von Anne für die Illustrierte aufgenommen worden war – und hinaus auf die Terrasse. Dort stand der steinerne Hirsch, neben dem Mr   Brecht auf dem Foto posierte. Und hinter dem Springbrunnen stand Ellen und lächelte mir entgegen.
    Aber es war nicht Ellen.
    Natürlich, es konnte ja nicht Ellen sein, denn Ellen war tot.
    Aber sie sah fast genauso aus wie Ellen.
    Sie war noch ein Mädchen, ihre Augen waren etwas grüner als Ellens, und ihr dunkles Haar hatte einen kastanienbraunen Ton. Ich sah Karla an, die übers ganze Gesicht strahlte, entzückt die Hände vor der Brust faltete und mit einer Mischung aus Stolz und Freude zwischen John und mir und der jungen Frau hin und her sah.
    Diese trat vor mich hin und hielt mir die zur Faust geformte Hand hin. Sie öffnete sie, und ich blickte auf ihre Handfläche – dort lag das Goldkettchen mit dem Violinschlüsselanhänger.
    »Ich bin ja so froh, dich kennenzulernen, Hannah«, sagte sie. »Ich bin Kirsten, Ellens Tochter.«

SECHZIG

    F luchtartig verließ ich das Zelt, wollte nur noch weg von Mr   Brecht und seinem Gewehr. In der allmählich einsetzenden Dunkelheit rannte ich bis zu unserem Cottage. Dort warf ich das Gartentor hinter mir ins Schloss und lief zur Haustür.
    Im selben Augenblick kam Jago ums Haus herum. Trixie, die hinter ihm her trottete, wedelte mit dem Schwanz, als sie mich erblickte.
    »Was machst du denn schon hier?«, fragte Jago. »Du solltest doch bei der Party sein. Hast du etwas vergessen?« Er sah mich forschend an. »Hannah? Alles okay?«
    Ich schüttelte den Kopf, versuchte, wieder zu Atem zu kommen und krümmte mich zusammen. Ich hatte Seitenstechen.
    »Du kannst nicht gehen«, sagte ich.
    »Wie meinst du das?«
    »Du kannst heute Nacht nicht nach Thornfield House gehen. Du kannst Ellen nicht mitnehmen. Du kannst im Moment überhaupt nichts tun.«
    »Hannah …«
    »Ihr Vater weiß Bescheid über Ellen und dich. Er weiß es und wartet auf dich. Er hat ein Gewehr. Er wird dich umbringen, wenn du in Thornfield House auftauchst.«
    »Das wird er nicht!« Jago verdrehte die Augen. »Jetzt hör auf, die tragische Heldin zu spielen.«
    Als solche hatte ich Ellen immer bezeichnet. All die Jahre über hatte ich gedacht, dass sie die Sache mit ihrem Vater aufbauschte, dass sie übertrieb. Scham und Wut überkamen mich.
    Ich fasste Jago am Arm. »Geh nicht, Jago. Nicht heute Nacht. Hörst du mich? Du darfst dich auf keinen Fall in Thornfield House blicken lassen.«
    Ich fühlte mich so machtlos, so niedergeschmettert, dass ich zu schluchzen begann. Trixie schlich mit angelegten Ohren und eingezogenem Schwanz davon.
    »Hannah, Schluss jetzt damit«, sagte Jago. »Hör auf, dich so seltsam zu benehmen!«
    »Und du hör mir endlich mal zu!«
    »Du faselst nur zusammenhangloses Zeug. Das macht doch alles keinen Sinn.«
    »Ellen will nicht, dass du kommst!«, schrie ich.
    Jago packte mich an den Schultern. Seine Finger gruben sich schmerzhaft in meine nackten Arme. »Was meinst du damit? Was ist passiert? Was hat er ihr angetan?«
    »Nichts, er hat nichts getan! Aber es gibt keine Party. Die beiden sind allein. Nur Ellen und ihr Vater. Und sie will auf keinen Fall, dass du auf sie wartest.«
    »Der Teufel soll ihn holen!

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