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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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zu Hause zu sein. Wie schrecklich es sein musste, darauf zu warten, dass ein geliebter Mensch starb. Schließlich bat meine Mutter Jago, mich allein zu lassen, und schickte mich nach oben, um ein Bad zu nehmen. In Pyjama und Bademantel kam ich kurze Zeit später wieder herunter. Mum fönte mir das Haar. Sie war außergewöhnlich zärtlich. Danach aßen wir zu Abend. Es wurde nicht viel gesprochen. Ich fragte, ob ich am Wochenende unser Haus weihnachtlich dekorieren dürfe, und mein Vater sagte Ja. Nach dem Essen ging Jago mit dem Hund spazieren. Während Dad im Wohnzimmer fernsah, half ich meiner Mutter, Essen für Thornfield House für die kommende Woche vorzubereiten, sodass Mrs   Todd es nur aufzuwärmen brauchte.
    Als Jago wieder zurück war, spielten wir eine Zeit lang Karten.
    »Erinnerst du dich noch, wie es war, als deine Mutter gestorben ist?«, fragte ich.
    »Klar, so was vergisst man nicht.«
    »Wie war es? Haben alle darauf gewartet, dass es passiert?«
    Jago schüttelte den Kopf.
    »Es ging ganz schnell. Alles war ganz normal, und dann plötzlich, von einem Tag auf den anderen, war ich im Hospiz, wo mir die Krankenschwestern Geschichten vorgelesen haben. Sie hatten ein Buch mit dem Titel Der große, dicke Ochsenfrosch . Das war mein absolutes Lieblingsbuch. Bis Mum schließlich starb, konnte ich es auswendig. Die Schwestern meinten, ich sei ganz schön clever für mein Alter – ich war damals erst sechs. Und war natürlich mächtig stolz«, schloss er lachend.
    Ich stimmte in sein Lachen ein.
    »Und dein Vater?«
    Jago zuckte mit den Schultern. »Das letzte Mal, dass ich ihn gesehen hab, war am Tag, als Mum gestorben ist. Wir wollten vom Hospiz nach Hause fahren, aber er hat mich bei Onkel und Tante abgeladen, meinte, ich soll mich benehmen, er wär in einer Stunde wieder zurück, dann ist er verschwunden.«
    »Er hat sich von niemandem verabschiedet?«
    »Nein. Deswegen waren sie ja so angefressen. Ich wurde ihnen einfach so aufs Auge gedrückt.«
    Mein Lächeln erstarb. Jago boxte mich spielerisch in den Arm.
    »Es ist ja doch noch alles gut geworden, nicht wahr? Jetzt bin ich hier, bei euch.«
    »Ja, da hast du recht.«
    Jago nahm mich ungeschickt in den Arm.
    »Und bei dir wird es genauso sein«, sagte er. »Du musst jetzt stark sein, Han. Eine Zeit lang wirst du dich schlecht fühlen, aber irgendwann vergeht der Kummer, wirst schon sehen.«
    Später nahm ich Trixie mit nach oben in mein Zimmer. Ich hob sie auf mein Bett, und sie legte sich neben mich und begann, das Kinn auf meine Brust gebettet, zu schnarchen. Das Geräusch tröstete mich. Ich dachte an den armen Mr   Brecht, der bald Witwer sein würde, nachdem ihm der Tod seine heiß geliebte Frau so jung und so brutal entrissen hatte. Das Leben konnte so unerbittlich sein. Ich fragte mich, ob es etwas gab, was ich tun könnte, um seine Trauer zu lindern. Ich nahm mir vor, ihm zu zeigen, dass ich immer für ihn da wäre, egal, was passierte.
    Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, jedenfalls wachte ich mitten in der Nacht auf. Draußen heulte eine Eule, wahrscheinlich war ich davon erwacht. Ich sah darin ein Zeichen, dass es vorbei war, dass Mrs   Brecht gestorben war, und schluchzte still und ein wenig selbstgefällig in das Fell des muskulösen alten Hundes.
    Am nächsten Morgen saß Ellen dann zum ersten Mal nicht im Schulbus.

EINUNDZWANZIG

    N achdem wir nachmittags Tee getrunken hatten, schlug ich meiner Mutter vor, ein wenig die Füße hochzulegen, während ich den Abwasch erledigte und das Geschirr aufräumte. Auch wenn ich wusste, dass sie hinterher kontrollieren würde, ob auch alles sauber war und ihren peniblen Ansprüchen genügte. Durchaus möglich, dass sie das Geschirr noch einmal spülen würde. Als ich die Geschirrtücher zum Trocknen nach draußen hängte, ging mir durch den Kopf, wie anstrengend es für meine Mutter sein musste, mich wieder zu Hause zu haben. Seit der Zeit nach meinem Zusammenbruch fiel uns beiden das Zusammenleben gleichermaßen schwer. Sicher, wir liebten uns, aber sie empfand meine Gegenwart als erschöpfend, und sie irritierte mich. Sie war immer in Alarmbereitschaft, hielt immer Ausschau nach Zeichen eines weiteren mentalen Zusammenbruchs, was mich wiederum dazu veranlasste, ihr unentwegt zu versichern, dass es mir gut gehe. Normalerweise fiel mir das nicht besonders schwer, aber da ich mich diesmal tatsächlich nicht besonders wohlfühlte, herrschte an diesem Nachmittag eine angespannte Stimmung

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