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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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gehabt, und ich fragte mich, was wohl der Grund gewesen war und was sie einander an den Kopf geworfen hatten. Was hatte ihn bloß zu dieser Verzweiflungstat getrieben? Ich bückte mich und hob die Jacke auf. Dabei fiel mein Schatten auf Mr   Brechts Gesicht, und ich hielt einen Moment lang den Atem an, aber er rührte sich nicht. Auf Zehenspitzen kehrte ich ins Haus zurück. Ich rannte die Treppe hinauf, aber Ellens Zimmer war verlassen. Im Haus war es still. Sie war nicht da.
    Ich ging auf die andere Seite des Flurs und öffnete die Tür von Mr   Brechts Schlafzimmer, das er bis vor wenigen Monaten noch mit seiner Frau geteilt hatte. Es war ein großer, ausgedehnter Raum im hinteren Teil des Hauses mit Blick auf den Garten. Sonnenlichtstreifen fielen auf das breite, ungemachte Bett mit den zerwühlten Laken. Die Kissen lagen in der Mitte des Betts. Ich hob eines hoch, hielt es an mein Gesicht und sog seinen Duft ein.
    Als ich wieder zur Haustür zurückkehrte, wedelte Trixie mit ihrem Stummelschwanz und blickte mir voller Freude entgegen.
    »Braves Mädchen«, sagte ich und redete beruhigend auf sie ein, damit sie mit ihrem aufgeregten Jaulen aufhörte. »Was für ein braves, kluges Mädchen du doch bist!«
    Mit Ellens Jeansjacke über der Schulter und einer blauen Socke in der Tasche, die ich in Mr   Brechts Zimmer stibitzt hatte, ging ich den gleichen Weg zurück, den ich gekommen war. Noch immer hatte ich den Duft von Mr   Brechts Kissen in der Nase. Ich fragte mich, wo Ellen sein mochte. Wenn sie zu uns gerannt wäre, hätte ich ihr vorhin begegnen müssen. Vielleicht war sie zum Strand gelaufen. Als Trixie und ich bei der Kirche ankamen, blickte sie erwartungsvoll zu mir hoch – hier begann eine unserer Lieblingsrouten. Ich beschloss, mit ihr den Friedhof zu überqueren und dann über das angrenzende freie Feld zu spazieren, von wo aus man zu den Klippen gelangte – vielleicht fand ich Ellen ja dort. Rosafarbenes, gelbes und grünes Konfetti von der Hochzeit vom Vortag lag auf dem Gehsteig vor der Kirche und dem überdachten Friedhofstor verstreut. Trixie trottete hinter mir auf dem Friedhofsweg her, während ihre Krallen auf den Steinplatten ein klickendes Geräusch machten. Die Platten waren von der Sonne erwärmt und strahlten zusätzlich Hitze ab. Im hinteren Teil des Friedhofs waren die Gräber weniger gepflegt als im vorderen Teil. Einige Grabsteine neigten sich zur Seite, und der Plastikabfalleimer quoll über von vertrockneten Kränzen und verwelkten Blumen. Die Luft roch süßlich nach verfaulten Pflanzen. Ich ließ Trixie von der Leine und sprang übermütig über die Gräber, wobei ich darauf achtete, den Brennnesseln auszuweichen, während ich mit der Hand die Mücken wegwedelte. Durch das rückwärtige Friedhofstor trat ich auf das angrenzende Feld hinaus, und Trixie folgte mir hechelnd.
    Ich sah Ellen, bevor sie mich bemerkte. Sie saß mit an den Knöcheln überkreuzten Beinen und im Schoß gefalteten Händen auf einer alten Bank hinter der Friedhofsmauer und wirkte wie eine Statue. Sie trug das grüne Sommerkleid mit den Gänseblümchen, das ihre Mutter so gern gemocht hatte. Ihr schwarzes Haar fiel ihr über Schultern und Rücken. Es war zerzaust, und Blätter und Gras hatten sich darin verfangen. An ihren Armen klebte Erde.
    Leise näherte ich mich ihr. Ich wollte Ellen nicht erschrecken, die so reglos war, dass sich die Vögel ganz nah an sie herangewagt hatten und auf der Erde nach Insekten pickten. Eine bläulich schwarz schimmernde Libelle saß auf der Armlehne der Bank neben ihr und breitete die Flügel aus. Es war kühl in der von Gestrüpp zugewachsenen Ecke des Feldes. Als ich sie fast erreicht hatte, hob Ellen den Kopf und lächelte. Ich setzte mich neben sie und legte ihr die Jeansjacke über die Schultern. Sie machte einen benommenen Eindruck. Trixie drehte sich drei Mal im Kreis, ehe sie sich zu meinen Füßen niederließ.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich.
    Ellen nickte.
    »Ich habe gesehen, was dein Vater angerichtet hat – im Garten.«
    Ellen sah mich an. Ihre dunklen Augen glänzten.
    »Er ist verrückt. Ich habe dir doch gesagt, dass er verrückt ist. Ich habe ihn angefleht, aufzuhören, aber er hat nicht auf mich gehört.«
    »Hat er dir wehgetan?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Was ist noch passiert, Ellen? Warum bist du voller Erde und Gras?«
    »Ich habe mich im Bad eingeschlossen, während er im Garten wütete. Vom Fenster aus konnte ich sehen, dass er

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