Das Dornenhaus
gingen? Etwas Harmloseres konnte es wohl kaum geben. Ich würde ihn anlächeln und so charmant wie möglich zu ihm sein, um Ellens Widerspenstigkeit wettzumachen.
Trixie und ich zwängten uns an dem alten Escort in unserem Vorgarten vorbei. Die Instandsetzung des Wagens sei eine Sisyphosarbeit, sagte meine Mutter manchmal. Genau wie beim Anstreichen der Forth Road Bridge sei auch hier kein Ende in Sicht. Egal, wie viele Schrottplätze Jago und Vater aufsuchten, nie schienen sie genau das Ersatzteil zu finden, das sie gerade benötigten. An der Vorderseite unseres Hauses lagen, fein säuberlich aufgereiht, mehrere rostige Motorteile.
Trixie und ich schlenderten die kleine Straße hinauf und genossen den gesprenkelten Schatten, den die Baumkronen spendeten, das Vogelgezwitscher und das friedliche Geräusch des Bachs, der, zwischen den beiden Grünstreifen verborgen, dahinplätscherte. Am Tor von Thornfield House hielt ich kurz inne. Das Haus sah anders aus als sonst. Als Erstes fiel mir auf, dass die Glyzinien, die sich an der Vorderfassade emporrankten, entfernt worden waren – ein großer Haufen Äste und verworrener Zweige mit Blättern und Blüten türmte sich auf dem Rasen. Ich ging die Auffahrt hinauf, die schnaufende Trixie folgte mir auf den Fersen. Die Tür schien geschlossen, aber dann fiel mir auf, dass sie nur angelehnt war. Ich band Trixie an dem verschnörkelten Stiefelabkratzer auf der Veranda an, sagte ihr, sie solle brav warten, hauchte ihr einen Kuss auf die Schnauze, schob dann vorsichtig die Tür auf und betrat den Flur.
Weder im Salon noch im Esszimmer war jemand, aber ich sah, dass die beiden Flügel des bodentiefen Terrassenfensters im hinteren Wohnzimmer geöffnet waren. Leise schlich ich in das Zimmer und schaute in den Garten.
Seit Mrs Brechts Tod war Adam Tremlett nicht mehr da gewesen, und der Garten war vernachlässigt. Mrs Todd tat zwar, was sie konnte, aber allein der Gemüsegarten war zu groß, um ihn allein zu bewältigen. Mittlerweile hatte ich mich an die um sich greifende Unordnung gewöhnt, aber an diesem Nachmittag herrschte eine eigenartige Stimmung im Garten. Mir wurde nicht sofort bewusst, woran es lag, aber irgendetwas stimmte nicht. Einen Moment blieb ich am Fenster stehen und ließ den Blick über Büsche und Beete wandern. Schließlich erregte eine einsame rote Mohnblume, die sachte in der milden Brise wehte, meine Aufmerksamkeit, und die Erkenntnis traf mich wie der Blitz: Sämtliche Blumen waren verschwunden.
Ich trat auf die Terrasse hinaus. Draußen war es wärmer als im Haus. Der Springbrunnen war abgeschaltet. Der Teich war von Pflanzenresten bedeckt. Einige Fische waren bereits verendet und trieben, auf der Seite liegend und mit erloschenen Augen, auf dem Wasser. Die wenigen Fische, die noch lebten, schwammen an der Oberfläche und sperrten, verzweifelt nach Sauerstoff lechzend, die kleinen runden Mäuler auf und zu. Mit den gewölbten Händen schöpfte ich durchweichte Pflanzenreste aus dem Teich – von Levkojen, Geranien, Rittersporn und unzähligen weiteren Blumen – und häufte sie neben dem Teich auf. Schließlich trieben nur noch ein paar einsame Blütenblätter auf dem Wasser. Als ich das Gefühl hatte, den Teich ausreichend gereinigt zu haben, damit die restlichen Fische überleben konnten, rieb ich mir Hände und Arme trocken und versuchte, mir vorzustellen, was hier vorgegangen war.
Dann entdeckte ich Mr Brecht. Eingerollt auf der Seite liegend und von seinem Jackett bedeckt, ruhte er im Schatten der Rotbuche auf einer gepolsterten Sonnenliege. Ein kleiner verzierter Metalltisch stand daneben, darauf eine Wodkaflasche, ein Glas und eine Gartenschere. Die Flasche war beinahe leer. Leise schlich ich näher und hoffte inständig, dass Trixie nicht bellen würde.
Seine Brille war nach oben gerutscht und saß schief auf seiner Stirn. Mr Brecht hatte die Augen geschlossen und schnarchte mit offenem Mund. Er roch nach Alkohol. Unter seinem Gesicht zeichnete sich ein feuchter dunkler Speichelfleck auf dem Kissen ab. Seine Hemdärmel waren bis zu den Ellbogen hochgerollt und seine Hände und Unterarme von Kratzern und Schorf bedeckt. Er musste sich völlig verausgabt haben, als er sämtliche Blumen im Garten abgeschnitten hatte.
Ein Anflug von Mitleid überkam mich. Wie unglücklich musste er sein, dass er so etwas getan hatte?
Ellens Jeansjacke lag wie achtlos hingeworfen auf dem Boden. Offenbar hatten die beiden einen furchtbaren Streit
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