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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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leicht eine Wirklichkeit vorgaukeln konnten, die im Grunde einer Abfolge von neurologischen Störungen geschuldet war.
    Ich wusste viele Dinge, konnte mir aber beim besten Willen nicht erklären, wie mein Strandglas auf den Grabstein gekommen war.
    Es war mir ein Rätsel.

DREISSIG

    A m Tag nach unserem Strandbesuch hatte Ellen Hausarrest, und ich fuhr allein mit dem Bus nach Polrack. Mein Ferienjob sollte noch zwei Wochen dauern, bis zum Ende der Schulferien. Im Seagull Hotel reinigte ich die Bäder, wechselte die Bettwäsche, füllte die Schränke auf den Gängen mit frischer Wäsche, räumte die Geschirrspülmaschine aus, bereitete am Nachmittag Tee und Scones mit Clotted Cream für die Hotelgäste vor und deckte für das Frühstück ein. Wenn ich aus einem der Dachfenster blickte, sah ich manchmal Jago, der Hummerkäfige auf der Hafenmauer reparierte oder breitbeinig auf Deck der Eliza May balancierte. Er lachte und witzelte nicht mehr mit seinen Kollegen herum, wie er es früher immer getan hatte. Oft ging er den Hügel hinauf und hinunter und hielt nach Ellen Ausschau, in der Hoffnung, sie würde aus der Eisdiele herauskommen, obwohl er wusste, dass das nicht passieren würde. Weil sie nicht dort war. Manchmal saß er untätig auf der Mauer und starrte ins Wasser. Zu Hause war er in sich gekehrt und abwesend. Er war nicht mehr zum Scherzen und Herumalbern aufgelegt. Ich war verunsichert, wusste nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten oder was ich sagen sollte.
    Ellen durfte Thornfield House erst wieder verlassen, als sie ihrem Vater versprach, seine Regeln zu befolgen und ihn nicht mehr zu belügen. Ein- oder zweimal ging ich nach Thornfield House, war insgeheim jedoch erleichtert, als man mir nicht erlaubte, sie zu sehen. Ich wusste, ich hätte mir nur wieder ihre Schimpftiraden über die Tyrannei ihres Vaters und die Ungerechtigkeit des Lebens anhören müssen. Als ich vom Tor zu ihrem Zimmer hinaufsah, erblickte ich sie am Fenster, dort, wo ihre Großmutter früher immer stand. Ich fragte mich, ob das Unglück, das sich hinter diesen Mauern abspielte, vielleicht mit dem Haus selbst zu tun hatte, ob womöglich ein Fluch auf ihm lastete. Als ich meine Mutter darauf ansprach, meinte diese, ich solle nicht lächerlich sein. Was zurzeit in Thornfield House geschehe, sei einfach nur die Folge unglücklicher Umstände.
    »Eine pubertierende Tochter und ein verwitweter Vater allein unter einem Dach – abgesehen von der Haushälterin natürlich –, das kann einfach nicht gut gehen«, sagte sie. »Ellen ist in einem rebellischen Alter und er hat vor Kurzem seine Frau verloren und will mit allen Mitteln verhindern, dass ihm auch noch seine Tochter abhanden kommt. Deswegen versucht er in übertriebenem Maße, sie zu schützen. Mach dir keine Sorgen, Hannah, Mr Brecht kann Ellen nicht für immer einsperren. Nächste Woche wird sie wieder in die Schule gehen, wirst schon sehen.«
    Am folgenden Samstag trafen wir Mrs   Todd auf dem Postamt.
    »Wie geht es Ellen?«, fragte Mum.
    »Ach, sie ist so stur und tut sich keinen Gefallen damit, sondern macht alles nur noch schlimmer«, antwortete Mrs   Todd. »Im Haus herrscht eine schreckliche Atmosphäre. Mr   Brecht gibt kein bisschen nach und sie auch nicht. Ellen redet kein normales Wort mit ihm, sondern giftet ihn nur an. Sie sind beide die gleichen Dickköpfe.«
    Mum schnalzte missbilligend mit der Zunge und schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht könntest du mal bei uns vorbeischauen, Hannah, und versuchen, sie zur Vernunft zu bringen«, sagte Mrs   Todd. »Am besten, du kommst morgen nach dem Mittagessen. Ich fahre nach Exeter zu einer Freundin, und ich werde Ellen sagen, dass du sie besuchen willst, vielleicht nimmt sie ja endlich Vernunft an.«
    Nach der Sonntagsmesse am nächsten Tag aßen wir zu Mittag, und nachdem der Abwasch erledigt und die Küche aufgeräumt waren, gingen Dad und Jago auf den Sportplatz, um an den Kricketnetzen zu trainieren. Mum setzte sich mit dem Nähkorb an den Küchentisch und hörte Radio.
    Ich beugte mich zu ihr und küsste sie auf die Wange.
    »Ich geh dann mal nach Thornfield House«, sagte ich. »Drück mir die Daumen.«
    »Ja, das werde ich.« Sie drückte mir aufmunternd die Hand.
    Ich rief nach Trixie und leinte sie an. Wenn ich den Hund dabeihätte, hatte ich mir überlegt, würde Mr   Brecht Ellen vielleicht erlauben, einen Spaziergang mit mir zu machen. Was war schon dabei, wenn zwei Mädchen mit einem Hund Gassi

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