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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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Du fällst mir wieder und wieder in den Rücken. Du bist genau wie sie.«
    »Ich habe nichts Schlimmes getan.«
    »Warum lügst du dann?«
    Mr   Brecht ergriff Ellens Hand und zog sie hinter sich her aus dem Haus. Steif, wie eine Puppe, stolperte sie hinter ihm her. Jago wollte ihr folgen, aber Dad packte ihn am Arm. »Lass gut sein, mein Sohn.«
    Jago schüttelte Dads Hand ab. Einen Augenblick lang fürchtete ich, er würde etwas Schreckliches sagen. Aber er begab sich wortlos in die Küche, und kurz darauf hörten wir, wie die Hintertür ins Schloss fiel. Den ganzen Abend lang herrschte bei uns eine gedrückte Stimmung. Mum bereitete das Abendessen vor, aber Jago kam nicht zurück, und Dad drehte den Fernseher lauter, als würde es das besser machen.
    Ich rollte mich auf dem Sofa zusammen und kaute an den Fingernägeln.
    »Glaubst du, ich sollte nach Thornfield House gehen und nachsehen, ob alles okay ist?«, fragte ich.
    Dad schüttelte den Kopf. »Lieber nicht, Hannah. Alles wird gut, wirst schon sehen. Morgen früh wirst du Ellen wieder im Bus zur Arbeit treffen.«
    Aber dort traf ich sie nicht. Ellen war weder am nächsten Morgen noch an einem der folgenden Tage im Bus.
    Und sie sollte auch nicht mehr am Tresen der Eisdiele stehen und italienische Eiscreme verkaufen. Sie hat die Eisdiele nie wieder betreten.

NEUNUNDZWANZIG

    E s war schön in Cornwall gewesen, auch wenn ich mich inzwischen fremd dort fühlte. Daher war ich froh, als ich wieder zurück in der Stadt war. Montpelier, das quirlige Viertel von Bristol, in dem ich lebte, und Trethene hätten nicht unterschiedlicher sein können. Die Straße, in der ich wohnte, war bevölkert von Menschen unterschiedlichster ethnischer Herkunft. Straßenmusik war zu hören, allerlei Essensgerüche hingen in der Luft, und verschleierte Frauen mit Buggys gehörten ebenso zum Stadtbild wie ältere Männer, deren Hemden über den Bäuchen spannten, oder junge Männer und Frauen, die in tief auf den Hüften sitzenden Jeans durch die Straßen stolzierten. Aus den Pubs strömten Leute mit Drinks in der Hand, die sie auf dem Gehsteig weitertranken, und halbwüchsige Jungen schlängelten sich auf ihren Fahrrädern zwischen den Autos hindurch.
    Ich kaufte Lebensmittel ein und eilte dann mit meinen Tüten zu meiner Wohnung. Lily war von der älteren Dame, die in der Wohnung über mir wohnte, gefüttert worden. Jetzt war meine Katze beleidigt, weil ich sie das ganze Wochenende allein gelassen hatte, und verlangte meine volle Aufmerksamkeit. Eine Zeit lang streichelte und knuddelte ich sie, dann zog ich die Vorhänge vor und knipste die Lampen an. Um ein wenig Gesellschaft zu haben, schaltete ich den Fernseher ein.
    Das rote Licht des Anrufbeantworters blinkte. Ich drückte die Abspieltaste, aber niemand hatte eine Nachricht hinterlassen. Ich rief die Nummer des letzten Anrufers auf – es war John Lansdown. Er hatte ungefähr eine halbe Stunde vor meiner Rückkehr angerufen. Ich rief zurück, aber niemand ging ran. Zu meiner Beunruhigung wegen Ellen gesellte sich nun auch noch die Sorge um John. Ich war in Ellens Geheimnisse eingeweiht gewesen, und nun kannte ich auch Geheimnisse, die Johns Ehe betrafen. In Ellens Fall hatte die Tatsache, dass ich die Wahrheit über sie herausgefunden hatte, zu nichts Gutem geführt, aber das musste nicht automatisch bedeuten, dass es sich in Johns Fall genauso verhielt. Ich wünschte, ich wüsste, wie ich mich am besten verhalten sollte. Ich wünschte, es gäbe jemanden, mit dem ich darüber reden könnte, jemand Unbeteiligten, der in der Lage wäre, mir zu raten, was ich tun sollte.
    Dad hatte zu Jago und mir immer gesagt: »Wenn ihr nicht wisst, was ihr tun sollt, dann tut am besten gar nichts.«
    Aber manchmal war Nichtstun das Allerschwierigste.
    Ich ließ mir ein Bad ein. Als ich mich auszog, fiel das blaue Glasstück aus meiner Tasche und rollte über den Teppich. Ich hob es auf und legte es auf den Frisiertisch. Die Ereignisse der letzten achtundvierzig Stunden gingen mir nicht aus dem Kopf. Ich glaubte nicht an Geister. Als Wissenschaftlerin betrachtete ich die Dinge rational. Ich arbeitete in einem Museum, umgeben von den Zerfallsprodukten des Todes. Ich wusste um die körperlichen Prozesse. Auch mit dem Verstand und der Physiologie des Gehirns kannte ich mich hinreichend aus, wusste, dass Störungen des chemischen Gleichgewichts durch Stress verstärkt werden konnten. Ich wusste, dass es Situationen gab, in denen sich Menschen ganz

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