Das Drachenboot
freie Bahn zu geben. Eine freie Bahn, dessen Ende bei Alf mündete. Keiner von Alfs Gefolgschaft hob gegen Aslak die Hand. Gehetzt sah Alf sich um, ohne einen Ausweg zu finden. Folke, der wie ein Sklave geschöpft hatte, hörte auf und sah den beiden ungläubig zu.
Aslak schob sich beinahe gemächlich vorwärts, mit hängenden Armen und offenen Händen. Alf zog sein Messer und hielt es in Hüfthöhe mit der Schneide nach oben. »Hjalti, so tu doch etwas!« rief Folke, der entsetzt bemerkte, daß Hjalti den »Grauen Wolf« aus einem unbegreiflichen Grund gewendet und dann das Ruder verlassen hatte. »Das Segel steht back!«
Die Wellen waren hier an der Nordspitze Erris nicht sanfter als an anderen Nordspitzen, die sich der See entgegenstellen. Die Wogen, die Raum genug gehabt hatten, um von der Ostseite Jütlands Anlauf zu nehmen, liefen hoch auf. Wo sie plötzlich vom steil ansteigenden Meeresgrund gebremst wurden, polterten und schäumten Njörds Töchter vor Wut, warfen sich längs und quer übereinander, schleuderten faustgroße Steine auf das schmale Ufer und nagten am Steilabhang.
Wie ein Stein wurde auch der »Graue Wolf« hin- und hergeschleudert, und das schwere Segeltuch sog sich mit jeder Krängung am Schothorn und an der Halse mehr voll Wasser. Folke ließ die Pütz fahren, sprang auf die Plattform des Steuermanns und stürzte an die Pinne, obwohl ihm im Auf und Ab des Hecks zumute war wie einer Maus, die ein Habicht im Fluge hat fallen lassen und wieder einfängt. Doch der »Graue Wolf«, der mit backstehendem Segel langsam rückwärts segelte, ließ sich durch den Rudergänger allein nicht wieder an den Wind bringen. Wirkungslos drehte Folke am Ruderschaft. Aslak war inzwischen bei Alf wie Tyr, der Gott der Gerichtsbarkeit und des Krieges, angekommen. Alf wagte nur einen schwächlichen Ausfall mit dem Dolch, der Aslak am Arm streifte. Dann war Aslak über ihm, rang ihm das Messer aus der Hand, packte ihn um die Mitte und stemmte ihn auf die oberste Planke. Dort schwankte Alf noch einmal kurz, bevor Aslak ihn mit einem endgültigen Stoß in Lee über Bord kippte.
Die Männer schrien auf. Jeder wollte den über Bord Gegangenen retten. Bevor sie alle auf dieselbe Seite traten und das Schiff in Gefahr brachten zu kentern, brüllte Aslak: »Zurück!«
Folke mühte sich immer noch mit der Pinne ab. Trotzdem sah er aus dem Augenwinkel, daß Aslak mehr für Alfs Rettung tat als alle anderen zusammen. Denn während Alf im brodelnden Wasser um sein Leben kämpfte und vom Schiff schnell fortzutreiben drohte, schlug Aslak die Verschlußkappe einer Riemenpforte heraus, griff sich ein Ruderblatt und schob es dem Ertrinkenden vor die Nase.
Alf klammerte sich am Holz fest, und Aslak holte das Ruder langsam und stetig ein. Mit geschlossenen Augen hing Alf kraftlos am Ruder. Fast wären ihm im letzten Augenblick noch die steifen Hände abgeglitten, als es Aslak gelang, den erschöpften Mann am Kragen zu packen und hochzuhieven. Wie ein gefangener Wassergeist rutschte er zwischen die Sitzbänke.
Folkes Gebrüll: »Segelwache! Halse los! Schoten und Bulinen los!« fand endlich Gehör.
Hjalti tobte zähnebleckend nach hinten, während die Männer in Windeseile alle Leinen loswarfen und die Rah rundbraßten. Als der Schiffsführer bei Folke angekommen war, war der Bug schon ein wenig abgefallen. Wortlos wechselten Hjalti und Folke die Plätze, und Folke machte sich, so schnell er konnte, unsichtbar.
Nach unendlich langer Zeit nahm der »Graue Wolf« endlich wieder Fahrt nach vorne auf, jedoch auf dem falschen Bug. Aber für eine Drehung durch den Wind brauchten sie erst einmal Fahrt im Schiff ... Immer näher kamen sie dem Strand.
»Es ist tief hier«, rief Folke, der sich zwischen Haithabu und den südlichen dänischen Inseln gut auskannte. »Wenn wir jetzt wieder wenden, schaffen wir es.« Trotzdem preßte er seine Nägel tief in die Handinnenflächen, bis diese schmerzten.
»Ruder ausfahren«, brüllte Hjalti, ohne sich um ihn zu kümmern, und in die Männer kam wieder Bewegung. Hastig zerrten sie die Ruderblätter heraus und schoben sie durch die Ruderpforten.
Folke, der nach vorne stürzte, um an seinen Platz zu kommen, bekam mehr Püffe von den Fäusten der Männer und mehr Schläge durch die Ruderschäfte, als er zählen konnte. Endlich erreichte er seine Bank, als die meisten Ruder sich bereits im Takt in das schaumig-grüne Wasser senkten. Das Ufer von Erris Nordspitze war gewiß nicht mehr als drei
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