Das Drachenboot
bedächtig mit schmalen Augen und gerunzelter Stirn. Auch er ließ die Frau nicht aus den Augen. Es ist wohl das erste Mal, daß er eine Frau als Seezeichen benutzt, dachte Folke und wartete noch einen Moment. Aber Hrolf sagte nichts, und Folke machte sich auf den Weg nach achtern. Frodi, der sich gemächlich aufgerappelt und dann die Steifheit aus allen Gliedern geschüttelt hatte, hatte den vorderen Ösgang gerade abgedeckt, als Folke bei seinem eigenen ankam. Folke sah ihn in den Ösraum blicken und dann entsetzt die Hände hochwerfen.
Folke brauchte nicht lange, um sicher zu sein, daß hier etwas nicht stimmen konnte. Er richtete sich wieder auf, und winkte Hrolf, der den Bootsbauer nicht aus den Augen gelassen hatte. Dieser hastete so schnell er konnte, zu Folke. »Was meinst du?« fragte er.
»Viel zuviel«, antwortete Folke und dachte daran, daß er sich den Ärger mit Alf und fast auch mit Hrolf grundlos eingehandelt hatte. »In der kurzen Zeit.«
»Ja«, knurrte Hrolf. »In der kurzen Zeit. « Folke fing an zu schöpfen, und da er auch einen zweiten Eimer zwischen dem Gepäck der Achterschiffmänner fand und er überdies einfach seinem Wachführer den vollen zum Ausleeren in die Hand drückte, ging es wesentlich schneller als beim ersten Mal. Trotzdem mußten sie eine Menge Eimer Wasser über Bord schütten, bis der Eichenspant im Ösgang wieder sichtbar war. »Merkwürdig«, sagte Folke, der ein rot verschwitztes Gesicht hatte und mittlerweile überall naß war. »Ja.«
Während sie besorgt in die Bilge starrten, um festzustellen, ob der Pegel während ihrer Pause bereits sichtbar wieder stieg, kam Aslak angestapft.
»Was ist?« fragte er. »Der >Graue Wolf< benimmt sich wie eine Rentierkuh vor dem Werfen. Haben wir zuviel Wasser im Schiff?«
»Eine kalbende Rentierkuh würde dich froher machen als mich ein Wolf mit Wasser im Bauch, denke ich«, antwortete Hrolf düster, ohne hochzusehen. Er setzte seinen breiten Zeigefinger am Holz unterhalb der Wasseroberfläche an und hielt ihn dann Aslak mit dem Daumen als Markierung vor die Augen. »Sieh dir das an. Ein Fingerglied Wasser in der Zeit, die du vom Mast hierher brauchtest.«
»Mehr als zwei Kälber bei einer Kuh ist auch nicht gut«, entschied Aslak und rief mit gedämpfter Stimme nach achtern. »Du solltest näher ans Ufer halten, Hjalti.«
»Warum?« fragte der Schiffsführer zurück und grinste breit. »Glaubst du, ich will verlieren, was ich schon gutgemacht habe?«
Zu Folkes Erstaunen luvte Hjalti sogar ein wenig an. Der Weg über Grund würde sich nun verkürzen, aber die Entfernung zum Ufer nahm zu. Er sah von Hrolf zu Aslak und von Aslak zu Hrolf. Die Kinnladen des Lappen knackten. Hrolfs Runzeln neben der Nase vertieften sich. Aber das war alles. Die Wachführer beabsichtigten nicht, dem Schiffsführer zu widersprechen. Erbost fing Folke wieder an zu ösen, und dabei stand ihm vor Augen, wie Hjalti sich in Haithabu eingeführt hatte. Mehr denn je zweifelte Folke, daß seemännisches Können den Steuermann quer über die Bucht trieb. Nach einer Weile, in der die Männer gemeinsam das Wasser beobachteten, brummte Aslak leise: »Viel zuviel, du hast recht. Wir haben uns ein Stück Kalfaterung herausgerissen, denke ich.«
Hrolf verzog zweifelnd den Mund. »Es sieht eher so aus, als hätten sich zwei Planken voneinander gelöst.«
»Noch schlimmer. Aber wenn du meinst?« Hrolf nickte düster. Auch Folke nickte. »Verstehst du davon auch etwas?« fragte Aslak überrascht. Folke nickte wieder. Zwei Jahre Bootsbauerei von neuen Schiffen und genauso lange Begutachtung von Schäden an alten, anfangs unter seines Oheims Thorbjörn Anleitung, später zunehmend allein und sicherer im Urteil, hatten ihn eine Menge gelehrt. Er brauchte sich nicht zu verstecken. Aslak, der Mann mit der faltigen braunen Haut des ewig Wandernden, die eine Altersbestimmung fast unmöglich macht, verschränkte grimmig die Arme, ohne die Nordspitze der Insel aus den Augen zu lassen. »Glaubt ihr, daß der >Graue Wolf< noch nach Hause hinken kann?« Ohne sich abzustimmen schüttelten Hrolf und Folke die Köpfe.
»Wir müssen an Land und nachsehen, je eher, desto besser«, sagte Folke.
Hrolf war sich nicht so sicher, aber er widersprach nicht. »Hjalti wird es nicht wollen«, sagte er ausweichend. »Aber wir werden kaum noch vorankommen.« Folke trat verärgert nach dem Eimer, der ihm vor lauter Staunen aus der Hand geglitten war. Hrolf war offensichtlich nicht nur Frauen
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