Das Drachenboot
unwahrscheinlich. Zumal er selber von Anfang an das Gefühl gehabt hatte, daß Sven keineswegs auf der Rückfahrt nach Haithabu war. »Kann irgend jemand den Mann genauer erkannt haben?«
»Schon«, sagte Aud zögernd, »aber du hast ja selber gesehen, daß sie mit Fremden nicht reden wollen.«
Folke seufzte. Sie hatte recht. Er war auf sich allein angewiesen, wenn er herausfinden wollte, wer der Mann war. Aber eigentlich war das eher nebensächlich. Dringend war hingegen die Sache mit dem Schiff.
Folke löffelte schnell seine dritte Schüssel aus, dann sprang er auf und rannte zur Schiffslände hinunter. Die Dorfstraße war leer wie ein blankgeputzter Hofplatz, und er war ganz froh darüber.
Die Norweger waren alle an der Arbeit, die meisten auf dem Schiff. Am Strand waren Aslak geblieben, soviel Folke sehen konnte, und Bolli. Bolli trieb es zu der Frau, die er mitnehmen wollte; sie war an einem Baum festgebunden, und er umkreiste sie besitzergreifend und voll Argwohn gegen die anderen Männer. Aber ihr Schmerz war größer als seine Gier; endlich sah er es ein und ließ sie in Ruhe. Folke schützte die Augen vor der Spiegelung der Sonne, die strahlend hinter ihm über die Bergkuppe kroch, und blinzelte über die sich kräuselnden Wellen zum Schiff. Der Wind war schwach und hatte gedreht, er wehte heute ablandig und trieb das stäbige Handelsboot weg von Land. Hinter ihm dümpelten zwei Beiboote, die die Männer in Beschlag genommen hatten.
Das Schiff des Bauern war nicht so lang wie der »Graue Wolf« wirkte aber wesentlich seetüchtiger. Folke mußte lachen. So tödlich verwundet, wie das Drachenboot auf die Landzunge geschlichen und dort liegengeblieben war, war es nicht schwer, ein seetüchtigeres Schiff zu finden. Hoffentlich würde es ihm gelingen, den Fehler zu finden und zu beseitigen. Während er in Gedanken bereits die kritischen Stellen durchging, wurde er von Aslak angerufen. Aslak kam mit schweren Schritten über den Steinwall, eilig, aber zugleich zögernd, als wüßte er nicht, ob er willkommen war. »Ich dachte, du wärst fort«, sagte er.
»Nein, natürlich nicht«, sagte Folke im Brustton der Überzeugung, konnte aber nicht verhindern, daß sein Gewissen sich regte, weil er ein bequemes Nachtlager dem steinigen bei den Männern am Strand vorgezogen hatte. Aber er wußte nicht, ob Aslak Verständnis dafür aufbringen konnte, daß er die Frau vor ihren eigenen Leuten hatte beschützen müssen.
»Ich habe Erkundigungen eingezogen, und das hat die ganze Nacht gedauert. Habt ihr schon bemerkt, daß euer Schiff nicht seetüchtig ist?«
Erstaunt wandte sich Aslak zum Schiff um. Er schüttelte bedächtig den Kopf. »Das kann nicht sein«, sagte er. »Dir hat jemand einen Bären aufgebunden aus Sorge um sein Schiff.«
»Nein!« sagte Folke und verwarf den Verdacht entschieden im selben Moment, in dem er wach geworden war.
»Mein Gewährsmann ist ehrlich: Aud sagte es.«
»Auch in kleinen Dörfern wird gelogen«, sagte Aslak und sprach nicht aus, daß er auch an große Dörfer und noch viel mehr an Städte dachte. Manchmal kamen ihm nur noch die Bergbäche seiner Heimat rein und klar vor. »Du glaubst wohl nicht, daß die Leute froh wären, euch los zu sein?« fragte Folke und knuffte den Mann kameradschaftlich, den er lieber mochte als alle anderen, mit denen er in den letzten Tagen gefahren war.
Aber Aslak blieb unerwartet ernst. »Ich weiß nicht, wem ich glauben soll, und schon gar nicht weiß ich, was.«
»Aslak«, sagte Folke und entschloß sich, offen zu sein, »schlimme Dinge sind geschehen, und ich möchte gerne mit dir darüber sprechen. Aber vorher laß mich das Boot prüfen! Es muß etwas mit ihm sein, auch wenn es gut aufschwimmt und innen trocken ist. Ich vermute, es ist entweder das Steuer oder der Mastfuß.«
»Das Steuer«, sagte Aslak verblüfft. »Nach dem hat bestimmt niemand gesehen, ich jedenfalls nicht. Wir haben nur Leinen und Ösfässer gezählt und nach morschem Holz gesucht.« Während Folke Aslak mit sich zog, blieb dieser merkwürdig unschlüssig. Schließlich blieb er stehen. »Folke, nimm dich vor Hrolf in acht. Er ist der Meinung, daß du den >Grauen Wolf< versenkt hast. Wenn er dir begegnet.«
Folke sah Aslak schreckgeschlagen an. »Ich?«
Aslak nickte stumm.
»Jemand hat ihn angebohrt, aber nicht ich«, sagte Folke aufgebracht. »Kein Bootsbauer würde das jemals tun. Weißt du, was es für einen Bootsbauer bedeutet, ein Schiff zu zerstören?«
Natürlich
Weitere Kostenlose Bücher