Das Drachenboot
viele Tücher und Röcke gehüllte Person, die das Feuer mit Aufmerksamkeit heischendem Lärm angefacht hatte: mochte die Aufregung im Dorf auch noch so groß sein - an der Geste, mit der sie den Topf über die auflodernden Flammen zog, mußte jeder im Hause sehen, daß sie nie vergessen würde, für das leibliche Wohl der Menschen zu sorgen.
Folke interessierte die Frau nicht. Er schlug das Messer des Hausherrn kaltblütig beiseite, nachdem er festgestellt hatte, mit welchem der beiden Augen er reden mußte, und fragte: »Ist ein Gast in deinem Hause etwa nicht heilig?«
»Ein Gast, ja«, knurrte Ragnar.
Folke ließ dem Hauswirt Zeit, sein Messer gleichzeitig in verschiedenen Richtungen zu suchen, und stellte dann den Schild an der Wand ab. Sein Kurzschwert blieb am Schulterband hängen. Mit einem Blick hatte er erkannt, daß der Bauer weniger wild war, als er sich gab, eben nicht anders als die Bauern zu Hause in Haithabu, und daß sich hier keiner für einen Ausfall gegen die Norweger rüstete. Die Wut des Mannes schien sich merkwürdigerweise mehr gegen Aud als gegen ihn zu richten. »Wenn du es erlaubst, will ich meine Sache vor dir vertreten«, sagte er, und der Bauer brummelte seine Zustimmung, die einfacher und ungefährlicher zu geben war als eine Ablehnung. Breitbeinig, die Daumen im Gürtel, der nur ein Strick um den Bauch war, lauschte Ragnar mit offenem Mund.
»Ich gehöre nicht zu den Norwegern«, versicherte Folke und sagte sich erstmals von der Gemeinschaft der Männer ganz los, der er einige Stunden angehört hatte. Dann trug er sein Anliegen vor.
Ragnar verstand, worum es ging. Aber er blieb mißtrauisch. Weder bot er Folke Platz an, noch setzte er sich selber hin.
Im Stehen löffelte er aus der Schüssel, die ihm die alte Frau hinaufreichte, einen warmen Brei und ließ dabei Folke nicht aus den Augen.
Noch nie hatte Folke anderen beim Essen zusehen müssen. Sein Hunger wurde zum Heißhunger. Zum Schluß leckte Ragnar die Schale aus und reichte sie dann der alten Frau. »Ich weiß nicht«, sagte er unschlüssig.
»Ragnar«, beschwor Aud ihn und trat hinter Folke hervor, hinter dem sie sich aus gutem Grund verborgen hatte, »sag es ihm! Ein Schiff ist weniger als Höfe und Kühe. Und Menschenleben.«
»Nein!« widersprach Ragnar störrisch. »Das Schiff ist mir viel wert. Das Haus nicht. Und die Leute schon gar nicht. Nicht meine Sippe. Meine Sippe lebt auf dem Langen Land.«
»Aber die Kinder und die Frauen.«, sagte Aud hastig.
»Ich habe keine Kinder«, knurrte Ragnar böse und warf der jüngeren Frau, die sich still hereingeschlichen hatte und nun an der Wand stand, einen mörderischen Blick zu.
Die Hausfrau schluchzte laut auf. »Du hättest eines«, kreischte sie, »wenn dein Bruder dich nicht beschwatzt hätte, unseren Sohn zu töten.«
»Ich habe keinen Krüppel zum Sohn!« herrschte Ragnar seine Frau an und hob den Arm, um sie zu schlagen. Aud trat zwischen ihn und die Frau. »Ihr werdet die Norweger nicht los«, beschwor sie ihn eindringlich, »sie werden euch Bauern totschlagen und sich den Winter über in euren Häusern einnisten. Willst du das?«
Ragnar ließ angesichts ihrer Furchtlosigkeit den Arm sinken. Sie zu schlagen wagte er nicht, aber er brüllte um so lauter. »Wieso unterstehst du dich, das alles auf mir abzuladen, Frau? Du bist doch schuld, daß sie hier sind! Sieh du selbst zu, daß du sie wieder los wirst. Aber nicht mit meinem Schiff!«
Die Alte nickte freudig mit leerem Gesicht, mischte sich aber nicht ein. Folke beachtete sie nicht. Hier im Haus suchte ein Fremder vergeblich nach Gutwilligkeit. Wortlos nahm er seinen Schild auf und wollte gehen. Das alles konnte Aud nicht gewußt haben, denn sonst hätte sie nicht den Versuch unternommen, diesen bitteren Mann zu überzeugen, dachte Folke und war sich gar nicht sicher, ob Ragnar wirklich verstanden hatte, was für das Dorf auf dem Spiel stand.
In diesem Moment flog die Tür auf, und ein jüngerer Mann stürmte herein, der durch seine weißen Augenbrauen und Haare auffiel. »Ragnar!« rief er mit heiserer Stimme, »dieser Waldgänger ist wieder gesehen worden. Überall machen sie die Feuer wieder an und halten Wache.«
Ragnar knurrte vernehmlich, und die unverständige Alte wimmerte auf vor Schreck.
Sie zog ihren Umhang über ihren Kopf und kauerte sich so dicht an das Feuer, daß die Wolle angesengt wurde. »Du mußt ein wenig auf dich aufpassen, Mutter«, sagte Ragnar friedlicher als bisher, umfaßte
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