Das Drachenkind (Die Drachenschwestern Trilogie) (German Edition)
ganz
tröstlich und auch beruhigend zu wissen, dass noch jemand wusste, wo sie gerade
war. Von ihrer Spontanidee hatte sie nämlich unvorsichtigerweise niemanden
informiert. Na ja, dachte sie mit leichtem Galgenhumor, spätestens im Frühling
wenn die Wandersaison wieder los geht und der Schnee geschmolzen ist, findet
mich bestimmt jemand. Sie setzte ihren Weg fort, vorsichtig einen Fuß vor den
anderen setzend, bis es ihr zu langweilig wurde und sie wieder von einer Stelle
zur nächsten hüpfte.
Maxi
war zwar tatsächlich nicht zu finden. Aber auch nicht gänzlich verschwunden,
nur unsichtbar. Wozu denn sonst war man so vielseitig talentiert? Einer musste
schließlich auf die beiden Kleinen achtgeben. Auch wenn die große Kleine das
vielleicht anders sah. Aber sie hatte gestern Abend nur versprochen, sie
alleine zulassen und sich nicht mehr einzumischen. Woran sie sich bis auf den
kleinen Ausrutscher von eben auch gehalten hatte. Und wenn man während seiner
Aufpasser-Pflichten auch noch dazu kam, mit den wilden Gotthardwinden zu
fliegen, umso besser, dachte sie und stürzte sich mit einem für Miri unhörbaren
Jauchzer ins Tal.
Miri
war inzwischen unten angekommen. Besser gesagt in Freggio angekommen, das auf
ungefähr 1037 Metern über Meer lag, also immer noch hoch oben über dem Tal,
aber eben 300 Höhenmeter tiefer als dort, wo sie gestartet war. Ihre
Oberschenkelmuskulatur würde dazu spätestens morgen einiges zu sagen haben,
vermutete sie. Der Aussichtspunkt mitsamt der Bank befand sich immer noch an
derselben Stelle, wie sie es in Erinnerung hatte. Sie nahm Platz und ließ das
wunderschöne Panorama auf sich wirken.
Also
los, gab sie sich innerlich einen Schubs. Sie hatte doch einen Plan. Erst die
einfachen Dinge. Apfel. Sie holte ihre Thermosflasche und den Apfel aus ihrem
Rucksack. Ach ja. Nachdenken stand auch auf dem Plan. Erst essen. Dann trinken.
Dann Denken. Shit.
Maxi
hatte natürlich wieder einmal recht gehabt mit ihrer Vorhersage, sie würde es
nur wieder aufschieben. Sie hatte es definitiv satt, dass dauernd irgendwelche
anderen Leute – oder auch Drachen – alles besser wussten. Aber um selber im
Recht zu sein, müsste sie wohl eine Meinung äußern. Und Meinungen setzten
Entscheidungen, und seien es nur gedankliche, voraus. Sie seufzte tief und warf
das Kerngehäuse mit Schwung in die Schlucht unter sich. Unbewusst legte sie
eine Hand auf ihren Bauch und hielt mit geschlossenen Augen ihr Gesicht der
freundlichen Wintersonne entgegen. Wenn sie ehrlich war mit sich selbst, war
die Entscheidung schon längst gefallen.
Natürlich
würde sie es sich wünschen, das Ganze ungeschehen zu machen. Also nicht
unbedingt die sensationelle Nacht mit Matt. Ihr wurde wie jedes Mal, wenn sie
an die Begegnung mit ihm dachte, ganz anders. Auf eine sehr angenehme und auch
aufregende Art anders. So etwas erlebte man nicht alle Tage. Aber das Resultat
davon. Nur dass das nicht ging. Aber jetzt aktiv das Resultat beseitigen? Nur
weil es bequemer war? Und sie es zum damaligen Zeitpunkt nicht für nötig
geachtet hatte Vorkehrungen zu treffen? Immerhin mochte sie den Vater des
Wurms. So gut man eben jemanden mögen konnte, den man praktisch nicht kannte.
Trotzdem. Das war definitiv ein Pluspunkt.
Geistesabwesend
warf sie einer Krähe, die sich in ihre Nähe gewagt hatte und sie neugierig
betrachtete, eine Mandel hin. Nach einem prüfenden Blick wurde sie von dem
großen schwarz glänzenden Vogel offenbar für ungefährlich befunden. Mit zwei
Hüpfern war sie bei dem Leckerbissen angelangt, schnappte sich diesen und flog
mit ihrer Beute davon. Miri sah ihr nach und wünschte sich, mitfliegen zu
können. Als Vogel war die Welt bestimmt einfacher. Vor allem wenn im Winter
weichherzige Wanderer vorbei kamen.
Zurück
zum Thema, ermahnte sie sich. Sich ablenken zu lassen, war schon verlockend.
Aber es half ihr halt nicht weiter. Sie hatte es sich einfach noch nicht
eingestehen wollen, dass sie von nun an zu zweit durchs Leben gehen würde.
Deshalb hatte sie auch den Besuch bei der Frauenärztin immer wieder hinaus
geschoben. Dann hätte sie darüber reden müssen. Sich ernsthaft darüber Gedanken
machen müssen, wie es jetzt weiter gehen würde. Mit ihr und dem Wurm.
„He,
das ist kein Wurm“, rügte Maxi sie via Gedankenübertragung.
Miri
blinzelte in die Sonne. „Nicht? Ich dachte, Drachen, Reptilien, Schlangen,
Würmer würden alle in dieselbe Kategorie gehören. Gab es da nicht auch mal
diesen Drachen alias
Weitere Kostenlose Bücher