Das Drachenkind (Die Drachenschwestern Trilogie) (German Edition)
auf Miri zu.
„Hier.“
Sie
legte einen Chip auf die Erde und bewegte sich dann seitlich in einem Halbbogen
um die Ziege herum. Diese wartete, bis ihr der Abstand zu der fremden
furchterregenden Frau groß genug war und näherte sich dann vorsichtig dem
Leckerbissen. Miri lächelte, als sie ihr einen letzten Blick zu warf und ihren
Weg fortsetzte. Nachdem sie jetzt ihre Entscheidung bezüglich des Wurms, äh,
Drachenkinds, getroffen hatte, schien ihr zuvor so erstarrtes Gehirn jetzt
Überstunden zu leisten. Im Moment hatte sie keinen Job. Obwohl, Kaja schien es
richtig ernst damit zu sein, ihre Produkte mit anzubieten. Wenn das klappte,
konnte sie von Zuhause aus arbeiten und musste sich erst einmal keine Gedanken
über Kinderbetreuung machen. Zugegeben, noch hatte sie kein Stück verkauft.
Aber hoffen war ja wohl erlaubt.
Ob
Kaja auch das Angebot mit dem Wohnen ernst gemeint hatte? grübelte sie, während
sie von Stein zu Stein über einen Wildbach hüpfte. Sie unterbrach ihren
Gedankenmarathon für einen Augenblick, als einer der Steine gefährlich zu
wackeln begann. O-o, nass werden war anfangs Dezember keine gute Idee. Endlich
fand sie ihre Balance wieder und sprang mit einem letzten großen Satz ans
trockene Ufer. Nachdem sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, befasste
sie sich wieder mit ihrer Wohnsituation. So großzügig das Angebot auch war,
irgendwie konnte sie sich das nicht vorstellen, zusammen mit Kleinkind und Hund
Kajas häusliches Leben auf den Kopf zu stellen. Sie war sich nicht sicher, ob
das gesund für ihre Freundschaft sein würde. Ungebeten erschien vor ihrem
inneren Auge das Bild des baufälligen Pächterhäuschens auf Kajas Grundstück.
Wenn man das instand setzen könnte, hätte sie ein eigenes kleines Reich und
trotzdem ihre Freundin in der Nähe, überlegte sie. Aber vermutlich war es nicht
mehr zu retten. Oder falls doch, würde die Renovierung viel zu teuer werden.
Sie tauchte aus ihren Überlegungen auf und konzentrierte sich wieder auf den
Weg. Weiter vorn konnte sie bereits die typischen ursprünglichen Tessinerhäuser
von Rossura sehen. Rossura war die letzte Station auf ihrer Wanderung. Von hier
aus würde sie mit dem Postauto nach Faido fahren und dann mit dem Zug nach
Zürich. Erst war aber offenbar noch einmal Wegzoll fällig, wenn sie die
spitzbübischen Mienen der zwei Ponys und des Esels anschaute, die sie wie
geübte Wegelagerer am Weitergehen hinderten.
„Ist
ja gut. Inzwischen habe ich das System verstanden“, grinste sie gutmütig und
kratzte die letzten Krümel zusammen.
Besonders
gesund war das zwar nicht für die Tiere. Aber etwas anderes hatte sie nicht
mehr. Sie klopfte dem Esel, welcher am nächsten bei ihr stand, zum Abschied freundlich
auf den Hals. Nachdem auch diese drei Vierbeiner zufrieden gestellt waren,
legte sie das letzte kurze Stück zum Dorf zurück. Sie zog ihr Handy aus der
Jackentasche um nachzuschauen, wie spät es überhaupt war. Erst kurz vor drei.
Sie war richtig gut vorangekommen. Das bedeutete allerdings auch eine Stunde
Wartezeit. Das Postauto fuhr erst um vier Uhr. Sie holte ihre Thermosflasche
hervor und gönnte sich einen Schluck des inzwischen kalten Fencheltees. Brr.
Definitiv nicht ihr Lieblingsgetränk. An den heißen Tee hatte sie sich
inzwischen einigermaßen gewöhnt. Aber kalt ging gar nicht. Um eine Stunde lang
rumzusitzen war es Miri zu kalt. Sie beschloss, der alten mittelalterlichen
Kirche San Lorenzo, die auf einem Hügel in der Nähe stand, einen Besuch abzustatten.
Oben
angekommen trat sie vorsichtig in die Kirche ein. Sie liebte alte Kirchen, vor
allem die katholischen, mit ihren vielfältigen Gerüchen nach Weihrauch und
Kerzenwachs und den vielfältigen Heiligenbildern. Gleichzeitig hatte sie immer
das Gefühl, gar nicht befugt zu sein, einzutreten, da sie mit organisierter
Religion oder der katholischen Kirche an sich so gar nichts am Hut hatte.
Andererseits war sie fest davon überzeugt, dass es Gott, der Göttin, den
Göttern, dem göttlichen Prinzip, wie auch immer, komplett egal war, wann und wo
man und wie man sich damit auseinandersetzte. Sie schaute sich um und ließ die
Stille auf sich wirken. Das Innere der Kirche war üppig geschmückt. Stuccaturen
verzierten die obere Hälfte der Wände und der Decke und rahmten wunderschöne
Fresken ein. Offenbar stammten sie aus verschiedenen Epochen. Einigen sah man
ihr Alter deutlich an, während andere augenscheinlich vor nicht allzu langer
Zeit restauriert
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