Das Drachenkind (Die Drachenschwestern Trilogie) (German Edition)
ihr
auf, dass ihre Hand stark zitterte. Wenn sie sich darauf konzentrierte, spürte
sie auch, dass sie schmerzhaft pochte. Besser nicht konzentrieren, beschloss
sie. Zuschauerstatus war ganz okay für den Moment.
Sie
versuchte nochmals zu rekapitulieren, was eigentlich geschehen war. Miri
runzelte die Stirn, ließ es aber auf der Stelle wieder bleiben, als ihr dadurch
das Blut in ihr rechtes Auge lief. Sie drehte mühsam den verkalkten Wasserhahn
auf und bückte sich, um ihr Gesicht unter den Wasserstrahl zu halten. Und
musste sich prompt übergeben, als ihr vom von der plötzlichen Bewegung schlecht
wurde. Als die Krämpfe endlich aufgehört hatten und sie es schaffte, sich das
Blut aus dem Auge zu waschen, lehnte sie sich erschöpft an die Wand. Sie
presste ein altes Handtuch auf die nach wie vor blutende Wunde. Hoffentlich
musste das nicht genäht werden. Offenbar war sie ziemlich fest mit dem Kopf an
den Heizkörper geknallt. Sie versuchte noch einmal die Abläufe der letzten
Minuten? Stunden? – sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war – zu
rekapitulieren. Sie war an ihrem Onkel, der sich von Anfang an seltsam benommen
hatte, vorbei ins Zimmer gegangen. Er wollte ihr doch etwas zeigen. Immer noch
sehr verwirrt sah sie sich in dem kleinen Raum um. Aber da war nichts. Nur ihre
alten Möbel. Plötzlich blitzte ein Bild vor ihrem inneren Auge auf. Ein dunkler
Schatten schräg hinter ihr als sie ins Zimmer trat. Kalter Schweiß sammelte
sich auf ihrer Stirn. Hatte Onkel Paul sie etwa gestoßen? Jetzt erst fiel ihr
auf, dass die Tür des Kinderzimmers geschlossen war. Langsam bekam sie es mit
der Angst zu tun. Unwillkürlich legte sie sich die Hand auf den Bauch. Das
Drachenkind. Hoffentlich hatte es die ganze Aufregung in ihrem Bauch
verschlafen. Immer noch etwas unsicher auf den Beinen und mit einem unguten
Gefühl im Bauch begab sie sich zur Tür und drückte die Klinke hinunter. Doch
die Tür ließ sich nicht öffnen.
„Onkel
Paul?“, rief sie. „Onkel Paul?“ Sie merkte selbst, wie ihre Stimme immer
panischer wurde. „Das ist jetzt nicht witzig! Ich blute und muss zum Arzt!“
Inzwischen hämmerte sie mit beiden Fäusten gegen die Tür.
„Jetzt
bleibst du erst mal auf deinem Zimmer! Da kannst du dir überlegen, wie man sich
benimmt!“, zeterte ihr Onkel auf der anderen Seite.
Ungläubig
starrte Miri die Wand an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Aber es stand
zu befürchten, dass er jedes Wort so meinte, wie er es gesagt hatte. Sie
erinnerte sich noch gut an die Stunden, die sie als Kind auf ihrem Zimmer
verbringen musste, wenn sie sich seiner Meinung nach nicht richtig verhalten
hatte. Gerne auch mal einen ganzen Tag ohne Essen. Wie damals hörte er auch
jetzt nicht auf, sich aufzuregen, und schimpfte unablässig vor sich hin.
Resigniert ließ sie sich an der Wand nach zu Boden sinken und schloss die
Augen. Allein die Tatsache, dass er sie unter einem Vorwand nach hinten gelockt
und niedergeschlagen hatte, ließ darauf schließen, dass er logischen Argumenten
wohl eher nicht zugänglich war.
Sie
fühlte sich hundeelend. Kalt war ihr auch. Am liebsten hätte sie laut
losgeheult. Das einzige was sie davon abhielt war die Tatsache, dass sie keine
Taschentücher dabei hatte. Die Vorstellung, jetzt auch noch eine verstopfte
Nase zu haben und nichts dagegen tun zu können, war ihr zu viel. Was, wenn er
sie jetzt tagelang nicht raus ließ? Aus dem Fenster springen fiel aus, das war
ihr zur riskant. Vor allem jetzt, wo sie nicht nur an sich selber denken
musste. Das Drachenkind flog vermutlich auch nicht gerne aus einem Fenster im
ersten Stock, gut eingepackt hin oder her. Wobei fliegen: Vielleicht konnte sie
gedanklich Maxi mobilisieren? Angestrengt versuchte sie, ihre Drachenfreundin
zu kontaktieren. Sie konzentrierte sich, um zu spüren, ob sie ihre
Drachenverbindung spüren konnte. Nichts. Egal.
„Falls
du mich hörst, ich bin bei meiner Familie und sitze hier fest! Hol mich hier
raus!“
Sie
horchte in sich hinein. Immer noch keine Antwort. Sie griff mit ihrer gesunden
Hand schräg nach oben und rüttelte nochmals am Türgriff. Nichts zu machen. Sie
zwang sich dazu, ihre Atemübungen zu machen. Wenn sie jetzt in Panik geriet und
auch noch einen Asthmaanfall bekam, war sie geliefert. Ihr Asthma-Spray war
nämlich praktischerweise in ihrer Tasche, die im Wohnzimmer stand. Auf vier
einatmen und auf acht ausatmen, auf vier ein…
Sie
rappelte sich wieder hoch. Sie stützte beide
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