Das Drachenkind (Die Drachenschwestern Trilogie) (German Edition)
Außer sie würde sich mit Putzlappen und Staubsauger bewaffnet
ihrer Wohnung widmen. Aber das war ihr dann doch zu krass. Vor allem mit frisch
angemalten Fingernägeln. Die ganze Mühe sollte schon ein wenig von Dauer sein,
fand sie. Na gut. Sie war nicht wirklich begierig darauf ihr Vorhaben in die
Tat umzusetzen. Aber in wenigen Stunden war sie mit Kaja verabredet und würde
ihr zukünftiges Heim begutachten, tröstete sie sich. Sie gab sich einen Ruck,
packte ihre Tasche und machte sich auf den Weg. Drachen waren auch keine zur
Hand, die man zur Ablenkung ärgern konnte, dachte sie bei sich. Typisch, wenn
man sie braucht, sind sie nicht da. Sie musste schmunzeln.
Wenn
sie gewusst hätte, wie viel Wahrheit diese Überlegung enthielt, hätte sie es
wahrscheinlich nicht so amüsant gefunden.
Zögernd
drückte Miri eine halbe Stunde später auf die Klingel des alten
Reihenhäuschens, in dem sie den größten Teil ihrer Kindheit verbracht hatte.
Sie hoffte, nur Greta anzutreffen. Aber natürlich öffnete ihr Onkel Paul die
Tür. Was machte der denn an einem Dienstagmorgen zu Hause? Sie wappnete sich
innerlich bereits für einen erneuten Schwall von Beschimpfungen, als sie
registrierte, was ihr Onkel tatsächlich sagte.
„Miri!
Schön, dass du da bist. Ich hatte schon befürchtet, ich würde dich nie mehr
sehen. Komm rein. Lass uns über alles reden.“
Irritiert
trat sie instinktiv einen Schritt zurück. Das lief jetzt so gar nicht wie
erwartet ab.
„Willst
du nicht reinkommen?“
„Doch,
natürlich“, beeilte sich Miri zu sagen. Sie stieg die drei Treppenstufen hinauf
und trat ein. Als sie an ihrem Onkel vorbei ging, roch sie seinen schalen Atem
und bemerkte, dass ihm der Schweiß hinunterlief. War er etwa krank? Das würde
seine Anwesenheit zu Hause erklären, wie auch sein seltsames Verhalten. Sie
schüttelte ihr Unbehagen ab und zog aus alter Gewohnheit ihre Jacke aus und
hängte sie zusammen mit ihrer Tasche auf einen der Stühle beim Esstisch. Sie
drehte sich um und erschrak, als sie bemerkte, wie dicht ihr Onkel bei ihr
stand. Unauffällig versuchte sie sich an ihm vorbei zu schieben, um nicht
zwischen ihm und dem Stuhl eingeklemmt zu sein.
„Worüber
wolltest du denn mit mir sprechen?“, fragte sie ihn, einerseits um ihn
abzulenken, andererseits, weil es sie wirklich interessierte. Sie hatte nach
ihrer letzten Begegnung eher den Eindruck gehabt, er hätte ihr nichts mehr zu
sagen. Zumindest in diesem Leben nicht. Er warf ihr einen leicht manischen
Blick zu.
„Sprechen?
Ich wollte dir vor allem etwas zeigen.“ Er wandte sie ab und ging die Treppe
hoch in den ersten Stock.
Neugierig
geworden folgte ihm Miri über den abgewetzten Teppich.
Vor
ihrem ehemaligen Kinderzimmer hielt er an. „Hier ist es. Geh nur rein.“
Fragend
blickte sie ihn an. Als er keine Anstalten machte, etwas zu erklären, ging sie
an ihm vorbei ins Zimmer. Aus dem Augenwinkel nahm sie ein Schatten wahr. Dann
explodierte ihr Kopf. Zumindest fühlte es sich so an. Erst ihr Hinterkopf und
dann die Backe. Benommen saß sie zusammengesunken auf dem Boden. Sie blickte um
sich und versuchte wieder zu Sinnen zu kommen. Was war denn jetzt passiert? Es
fühlte sich so an, als wäre sie unter einen Bus gekommen. Vorsichtig drehte sie
den Kopf und erblickte den Radiator. An der linken Ecke lief ein Tropfen roter
Flüssigkeit hinunter. War das etwa Blut? Ihr Blut?
Unsicher
betastete sie ihre schmerzende Wange. Als sie die Hand ansah, waren ihre Finger
ebenfalls rot und glänzten feucht. Sie ließ ihren Blick durch den Raum
schweifen. Da standen immer noch ihr Kinderbett und der alte Schreibtisch. An
der gegenüberliegenden Wand befand sich ein Waschbecken. Als Kind war ihr das
total peinlich gewesen. Sie hatte sonst niemanden gekannt, der quasi das
Badezimmer im Schlafzimmer hatte. Jetzt war sie froh es zu entdecken. Ungelenk
stand sie auf und wankte auf wackligen Beinen zum Waschbecken, über dem ein
Spiegel hing. Ungläubig starrte sie ihr Spiegelbild an. Sie nahm zumindest an,
dass das ihr Spiegelbild war. Auch wenn sie das, was sie gerade sah, nicht
richtig mit sich selbst in Verbindung bringen konnte. Es fühlte sich mehr so
an, als wäre sie eine unbeteiligte Zuschauerin. Ihre Pupillen waren riesig.
Ihre Haut unnatürlich blass. Über ihrer rechten Schläfe klaffte ein drei
Zentimeter langer Riss, aus dem unablässig Blut floss. Sie fasste sich an den
Pullover. Die rechte Schulter war bereits von Blut durchtränkt. Dabei fiel
Weitere Kostenlose Bücher