Das Drachentor ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
dass es in ihrem Leib heranwuchs? Und doch war das Wissen etwas anderes, als es zu sehen, wie es den Bauch wölbte und wie es dann später in seiner Wiege lag, als ewige Erinnerung an ihre finsterste Stunde. – Nein, sie durfte nicht ungerecht sein. Wider alle Befürchtungen liebte sie ihren Sohn.
»Ich habe ihn Gerald genannt, nach seinem – ich meine, nach meinem Mann, der sein...« Errötend brach sie ab.
»Der sein Vater hätte sein sollen, ja, das ist eine gute Wahl«, sagte der Elb höflich.
Es gab nichts an seiner Haltung oder seinem Ton, das nicht korrekt gewesen wäre, und dennoch war ihr, als müsste sie ihn ohrfeigen und ihm ins Gesicht schreien, um die unsichtbare Wand zwischen ihnen niederzureißen, wenn vielleicht auch nur, um ihn aus der Fassung zu bringen und wütend zu machen. Stattdessen bediente sie sich selbst jener distanzierten Höflichkeit, die sie sonst für Vlaros reserviert hatte.
»Darf ich dir dein Zimmer richten lassen? Es wäre eine Freude, wenn du ein paar Tage auf Theron bleiben würdest.«
Seradir zögerte. Vielleicht wollte er es so schnell wie möglich hinter sich bringen? Dann aber nickte er, dankte und bat, sich zurückziehen und sich vom Schmutz der Reise befreien zu dürfen.
»Ja, ruh dich aus. Veronique wird dich nach oben begleiten und dir alles zur Verfügung stellen, was du wünschst. Ich freue mich, dich zum Nachtmahl hier wiederzusehen.« Lamina läutete die Glocke, um ihre Zofe zu rufen.
Damit war er entlassen.
Er nahm Bogen und Köcher auf, verneigte sich noch einmal und öffnete die Tür.
Veronique kam ihm entgegen und strahlte den Elb offen an. »Wie schön, Euch wieder in Theron zu haben«, rief sie.
Seradir lächelte warm zurück. »Auch ich freue mich, dich wiederzusehen. Wie geht es deinem Vater?« Die beiden gingen davon.
Ach, wenn er doch ihr diese Wärme schenken würde! Lamina behielt die steinerne Miene, bis sie die Tür geschlossen hatte und am Tisch auf einen Stuhl gesunken war. Das Gesicht in den Händen vergraben weinte sie bitterlich. So fand sie ihr Verwalter vor, als er sie eine Stunde später aufsuchte. Hastig wischte Lamina sich über das Gesicht und versuchte die Tränenspuren zu tilgen, doch so wie Cordon sie ansah, waren sie ihr noch allzu deutlich anzusehen.
»Was ist geschehen, Herrin?«
Sie bemühte sich um einen leichten Ton. »Nichts, mach dir keine Gedanken. Was gibt es? Kann ich dir helfen?«
Der Verwalter ließ sich ihr gegenüber nieder, ohne dass sie ihn dazu aufgefordert hätte. »Mir scheint, die Frage sollte eher ich Euch stellen! Kann ich Euch helfen?«
»Nein! Es ist nichts, was dich betrifft«, sagte sie schärfer, als es ihre Absicht gewesen war.
Der alte Mann seufzte. »Ich kenne meinen Platz, und ich weiß, dass es mir nicht zusteht, doch wer soll Euer Freund sein, solange all Eure Gefährten auf ihrer Mission unterwegs sind?« Lamina sah ihn abweisend an, doch er ließ sich nicht entmutigen und sprach weiter.
»Meister Seradir kam so voller Erwartungen und Freude hier an, und auch Ihr habt Euch gefreut, als Euch bewusst wurde, wer Euch erwartet. Wenn ich nun seine und Eure Miene sehe, dann kann nur ein Missverständnis an der getrübten Stimmung schuld sein. Sprecht mit ihm! Dann wird sich alles klären.«
»Es gibt nichts zu besprechen. Du irrst dich. Er ist nicht der enge Freund, für den du ihn hältst. Er kam lediglich, um einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.«
Cordon versuchte gar nicht, den Zweifel in seiner Miene zu verbergen. Schwerfällig erhob er sich. »Gut, dann ziehe ich mich jetzt zurück. Ich gebe Euch nur noch einen letzten Rat: Reitet mit ihm aus!«
»Vielleicht, wenn mir meine Pflichten Zeit dazu lassen«, erwiderte die Gräfin ausweichend. Kopfschüttelnd schlurfte der alte Verwalter hinaus, und Lamina fühlte sich nun auch noch ihm gegenüber schuldig.
*
Seradir sah sich in dem prächtigen Schlafgemach um, in das die Zofe ihn geführt hatte. Sie schüttelte die Bettdecke auf und versprach, ein heißes Bad zu richten, dann huschte sie hinaus. Der Elb blieb mitten im Raum auf dem flauschigen Teppich stehen. Die Erinnerungen kehrten mit Macht zurück. Hier hatte er sich daheim gefühlt. Hier war er glücklich gewesen, bis es eines Nachts an seine Tür geklopft hatte. Er sah in seinem Geist Lamina in ihrem dünnen Nachtgewand in sein Zimmer treten, die Augen vor Angst geweitet. Sie war gekommen, um ihn vor dem geplanten Anschlag zu warnen und um für lange Zeit von ihm Abschied zu
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