Das Drachentor ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
sah ihn noch einen Augenblick an, dann erhob sie sich langsam von ihrem Stuhl. »Es ist doch nicht etwa...?« Sie sprach seinen Namen nicht aus, doch der Gedanke, der ihr plötzlich durch den Sinn fuhr, ließ ihre Wangen erglühen. Sie raffte die Röcke.
»Langsam!«, mahnte der alte Verwalter, obwohl es ihm nicht anstand, das Verhalten seiner Herrin zu kommentieren. Lamina lächelte ihn verlegen an und ließ die Röcke wieder ein Stück sinken.
»Dann werde ich den unerwarteten Gast begrüßen«, sagte sie mit so viel Würde, wie ihr möglich war.
»Tut das«, nickte Cordon und sah ihr voller Zuneigung hinterher.
Lamina zwang sich, die Treppe langsam hinunterzugehen. Vor der geschlossenen Tür zum Speisezimmer blieb sie stehen. Es drängte sie, hineinzustürmen, und dennoch fürchtete sie sich davor, auch nur die Klinke zu berühren. Wie würde sie sich gleich fühlen? Glücklich oder vor Enttäuschung am Boden zerstört? Ihre innere Ruhe jedenfalls hatte sie bereits verloren. Noch konnte sie sich den Wunschträumen hingeben, die sie sich über Monate in ihren einsamen Stunden ausgemalt hatte. Würde die Wirklichkeit sie nun einholen und sie in einem einzigen Augenblick zerstören? Ihr Herz raste und stolperte in so unruhigem Tempo, dass sie gar nicht auf die Idee kam, es könnte ein anderer Besucher hinter der Tür auf sie warten als der, den sie sich Tag und Nacht herbeisehnte. Mit fahrigen Bewegungen strich Lamina ihre Gewänder glatt. Sie zwang sich, die Hand auf die Klinke zu legen und sie hinunterzudrücken. Langsam schob sie die Tür auf.
Er stand mit dem Rücken zu ihr vor dem kalten Kamin und starrte auf seine Stiefel hinab. Sie waren aus weichem Leder, wie auch seine Hosen und das Wams, das ihm bis auf die Oberschenkel fiel. Die Ärmel des Hemdes waren ein wenig heller. Obwohl Hemd und Wams weit geschnitten waren, wunderte sie sich wieder einmal, wie schlank er bei seiner Größe war. Er hatte den Köcher abgenommen und den Bogen in die Ecke gelehnt. Das Jagdmesser steckte aber noch in seinem Gürtel, und das Schwert hing an seiner Hüfte. Das blauschwarze Haar war mit einem Band zusammengebunden und hing auf den Rücken herab. Am Kopf lugten zwischen den eng anliegenden Strähnen seine spitzen Ohren ein Stück hervor.
Sie wusste, dass er ihr Kommen bemerkt hatte. Das Gehör der Elben war so scharf, dass ihnen das Öffnen einer Tür nicht entgehen konnte. Außerdem hatte er sie sicher erwartet. Und dennoch ließ er sich Zeit, bis er sich langsam zu ihr umdrehte und den Blick hob. Lamina klammerte sich an die Tür. Sie fühlte, wie ihre Knie weich wurden, als die violetten Augen sie ansahen. Sie brachte keinen Ton heraus, konnte sich nicht einmal bewegen und die Tür schließen, dabei hatte sie sich vorgenommen, sich nichts von den in ihr tobenden Gefühlen anmerken zu lassen. Ihr Gesicht war erstarrt. Sie konnte ihn nicht einmal anlächeln. Sein Blick tastete suchend über sie, dann stieg Schmerz in seinen Augen auf und verdunkelte sie, bis sie fast schwarz wirkten.
Seradir verneigte sich steif. »Ich komme wohl ungelegen. Verzeiht, Gräfin, ich hätte Euch vorher von meinem geplanten Besuch in Kenntnis setzen sollen.«
Endlich gelang es ihr, die Tür loszulassen und sie hinter sich ins Schloss zu drücken. Sie tastete sich zwei unsichere Schritte auf ihn zu und hob die Hände. »Aber nein, lieber Freund, du kommst nicht ungelegen. Ich schätze mich glücklich, dich wieder auf Theron begrüßen zu dürfen.« Die Stimme versagte ihr, als sie spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen. Es war schrecklicher, als sie es sich in ihren schlimmsten Albträumen hätte vorstellen können. Was war geschehen? Warum hatten sie ihre Vertrautheit verloren? Kam er gar, um sich für immer von ihr zu verabschieden? Plötzlich wusste sie, was geschehen war. Er hatte eine Elbenfrau kennen gelernt. Er würde heiraten. Und nun war er gekommen, es ihr zu sagen. Unbeholfen streckte sie ihm die Hände entgegen. Der Elb trat näher und hauchte mit vollendeter Eleganz und doch distanziert einen Kuss auf ihre Finger.
»Wenn die Nachrichten, die sich über die Lande verbreiten, richtig sind, dann darf ich Euch gratulieren?«
»Wie?«, stotterte sie verwirrt.
»Zur Geburt Eures Sohnes! Ich hoffe, er ist wohlauf?«
»Oh, ja, natürlich. Ich danke, verehrter Freund.« War es das? Hatte er sich von ihr zurückgezogen, weil sie dieses Kind der Schande bekommen hatte? Doch waren sie nicht in Liebe geschieden, als er bereits wusste,
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