Das Drachentor
um die Pfeile. Drei waren übrig geblieben. Vielleicht hatte er Glück und konnte, wenn der Nebel sich erst einmal gelichtet hatte, einen Hasen oder ein Rebhuhn erlegen.
Bald veränderte sich ihre Umgebung. Palagrin lief nicht mehr durch Moos und Farngestrüpp, stattdessen kamen ihnen immer häufiger Tümpel, Wasserströme und Schilf in die Quere.
Es begann zu nieseln. Winzige Wassertropfen landeten auf Revyns Nasenspitze und klimperten gegen seine Rüstung. Die schwachen Regenschauer drückten den Nebel zu Boden und kräuselten ihn, sodass sich vor Revyn und Palagrin in manchen Augenblicken eine klare Sicht eröffnete, nur um einen Moment später wieder hinter einem undurchdringlichen Vorhang zu verschwinden.
Irgendwann wucherte das Schilf um sie herum so hoch, dass Revyn abstieg und Palagrin voranging. Wenn er sich nicht gerade auf ihren Weg konzentrieren musste, hielt er Ausschau nach Jagdbeute. Dann erspähte er etwas. Aber es war kein Hase. Etwas Größeres. Revyn duckte sich tiefer ins Schilf.
Eine Regenwoge zog über sie hinweg. Lautlos nahm Revyn den Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil auf die Sehne. Ganz langsam erhob er sich. Er spannte den Bogen, bis die Sehne knirschte … Ein Umriss schälte sich aus dem milchigen Blau. Der Umriss eines Menschen. Ein fremder Jäger? Vielleicht ein Krieger!
Der Nebel öffnete sich …
Es war ein Mädchen.
Revyn senkte abrupt den Bogen. Er spürte sein Herz schwer gegen seinen Hals hüpfen. Vorsichtig spähte er durch das Schilf, um sicherzugehen, dass er sich nicht getäuscht hatte. Tatsächlich kniete am Ufer ein Mädchen und tauchte etwas ins Wasser, das Revyn nicht erkennen konnte. Dann wischte sie den Gegenstand an ihrer Tunika ab. Eine Dampfschwade zog an ihr vorüber.
Plötzlich erklang ein heller, durchdringender Pfiff. Das Wasser um Revyns Fußknöchel begann, Ringe zu werfen. Ein Dröhnen fuhr durch den Boden. Im nächsten Augenblick galoppierten drei - vier - fünf Drachen in den See hinein.
Sie schäumten das Wasser auf, sodass die Wellen bis zu Revyn ins Schilf schwappten. Weiße Fontänen sprangen unter ihren Klauen empor. Erst vor dem Mädchen kamen sie ungestüm zum Stillstand, als hätten unsichtbare Zügel sie davon abgehalten, es einfach zu überrennen. Das Mädchen strich einem der Drachen über den Hals und schwang sich auf seinen Rücken.
Nun erkannte er, was sie im Wasser gewaschen hatte: Es war ein langer Dolch. Sie schloss ihn in beide Hände und hob ihn vor ihr Gesicht, als würde sie beten. Revyn hielt den Atem an. Ihre geschlossenen Augen spiegelten sich auf der Klinge. Ihre Lippen formten rasche, lautlose Worte. Plötzlich sah sie auf.
Ihr Blick traf Revyn in der Spiegelung. Vor Schreck ließ er den Bogen fallen - das laute Platschen hallte durch den ganzen Wald -, stolperte zurück und verfing sich im Schilf. Nicht weit entfernt flatterte eine Wildente auf und schnatterte aufgebracht. Der Boden begann zu beben, Revyn rappelte sich auf - doch am Ufer bewegten sich nur noch die Nebel. Das Mädchen und die Drachen waren verschwunden.
Revyn ging es zusehends schlechter. Der Hunger machte ihn ganz taub. Auch seine Verletzung begann, heiß und schmerzvoll zu pochen. Schweiß brannte ihm auf der Stirn und vor seinen Augen flirrten Punkte.
Immer wieder schweiften seine Gedanken zu dem Mädchen und den Drachen. Wer war sie? Wer konnte mit einem einzigen Pfiff eine Gruppe wilder Drachen rufen?
Während sie ihren Weg durch den nebligen Wald fortsetzten, fühlte sich Revyn von allen Seiten beobachtet. Er glaubte schemenhafte Gestalten hinter dem Dunst zu erkennen, wie sie hin und her huschten und ihm nachblickten …
»Reiß dich zusammen«, murmelte er und schloss fest die Augen vor den Hirngespinsten. Schon bald sank er gegen den weichen Drachenhals.
Die Müdigkeit ergriff ihn wie eine friedliche Lähmung. Er blieb an Palagrin geschmiegt liegen, halb wach, halb schlafend, bis es dunkel wurde und die Bäume allmählich zurückwichen. Als er den vor Schwindel schweren Kopf hob, leuchteten in der Dunkelheit die Lichter von Logond.
Die Gefangene
Macht auf! Öffnet die Tore! Da kommt ein Drachenkrieger!«
Knarrend öffneten sich die mächtigen Holztore und Palagrin trabte ein. Sofort kamen Soldaten und Wachen und führten sie zum Stadtteil der Drachenkrieger.
Man half Revyn von Palagrins Rücken und brachte ihn in das kleine Lazarett, das sich ans Rathaus anschloss. Seine Verletzung wurde gewaschen und von einem Arzt
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