Das Drachentor
heraus, ließ sich auf die Knie sinken und zog das Leinenhemd unter seinem Harnisch aus. Es bedurfte nur weniger Augenblicke, um das Hemd zu ruinieren und einen erstklassigen Verband anzufertigen. Revyn tauchte den abgerissenen Stoff ins Wasser und ging zur Weide zurück.
Einen Moment war er nicht sicher, wie er die Elfe anfassen sollte, und betrachtete sie wie einen Fisch, der unvermittelt an Land gesprungen ist. Schließlich überwand er seine Scheu und schob vorsichtig den Ärmel ihres Kleides hoch. Im Grunde war es kein Kleid, sondern eine Tunika mit kurzen, zerschlissenen Ärmeln; auch der Saum der Tunika fehlte, denn sie war in der Höhe ihrer Knie abgerissen worden. Ihre schmutzigen Beine waren nackt. Revyn musste an die Frauen in Logond denken - jene, die man tagsüber auf den Märkten sah und nicht nachts in den Schänken -, die es für unschicklich hielten, den Rock auch nur bis über die Schuhe zu heben. Solcherlei Scham schien die Elfe nicht zu kennen.
Revyn schüttelte diese Gedanken ab und zwang sich, seine Konzentration auf das Wesentliche zu richten: nämlich die Pfeilwunde an ihrer Schulter. Sie sah nicht so schlimm aus, wie Revyn erwartet hatte. Ein Loch klaffte inmitten des verkrusteten Blutes, doch die Blutung hatte aufgehört. Die Haut um die Wunde herum war zerkratzt und aufgeschürft. Er schauderte, als er sich vorstellte, wie das Mädchen den Pfeil herausgezogen hatte. Behutsam begann er, die Wunde abzutupfen.
Fünf Mal musste Revyn zum Teich laufen und den blutdurchtränkten Stoff waschen, bis die Wunde gesäubert war. Sie sah jetzt aus wie ein schwarzes Brandloch und ein Ring roter, geschwollener Haut schloss sich darum. Revyn hatte auch auf ihrem Rücken nachgesehen, aber der Pfeil war nicht ganz durchgegangen. Sie hatte Glück gehabt. Der Pfeil hätte sie bloß ein kleines Stück weiter rechts treffen müssen und sie wäre mit Sicherheit tot. Revyn dachte daran, wie sie mit dem Pfeil in die Tiefe gefallen war, wie der Drache unter sie getaucht sein musste, wie sie die Kraft und den Willen gefunden hatte, sich im freien Fall an ihn zu klammern … Es war unglaublich.
Revyn wusch den Stoff ein letztes Mal aus und wusch ihr Gesicht. Unter dem Schmutz entdeckte Revyn rote Gruben auf ihren Wangen, wo sich Twits Fingernägel in die Haut gebohrt hatten. Auch über ihre Oberlippe ging ein Schnitt, doch ansonsten schien sie unverletzt.
Zuletzt schob Revyn ihr einen Haufen Laub unter den Kopf, damit sie bequem lag. Dann sah er ein, dass er nicht mehr tun konnte, und fuhr sich erschöpft mit dem Handrücken über die Stirn. Das Fieber fuhr ihm in pochenden Wellen durch den Kopf. Eine Weile betrachtete er die reglose Elfe. Sie sah aus, als würde sie friedlich schlafen. Und doch war da etwas in ihrem Gesicht, das verriet, dass es ganz anders war. Vielleicht die dunklen Schatten um ihre Augen, die sie besorgt und bekümmert wirken ließen. Oder die Entschlossenheit, die ihren fest geschlossenen Lippen anhaftete. Revyns Blick erkundete ihre Züge für eine Weile, dann stand er auf, ging zum Weiher und ließ sich am Ufer nieder.
Palagrin stand etwas abseits und schien in den Wald zu horchen. Goldenes Sonnenlicht umstrahlte seinen Rücken. Es verwischte beinahe seine Umrisse … Revyn stützte gedankenverloren den Kopf in die Hände. Man sah Palagrin an, dass er kein gewöhnliches Geschöpf war. Als Revyn beobachtete, wie er so im schimmernden Licht stand, war jene Unwirklichkeit unverkennbar, die alle Drachen umgab. Es war, als gehörten sie nicht in diese Welt. Sie gehörten ins Grau des Zwielichts, wo kein Auge sie fassen konnte, denn nur dort waren sie wirklich und wahrhaftig.
Revyn schloss die Augen. Was für schwachsinnige Eingebungen bescherte ihm das Fieber bloß!
Eigentlich sollte er in seiner Kammer liegen und sich auskurieren, stattdessen war er mitten in der Wildnis und pflegte eine gefährliche Elfe gesund. Nur um später - und dessen war sich Revyn fast sicher - von ihr angefallen und womöglich getötet zu werden. Dass er ihren Dolch hatte, spielte wahrscheinlich gar keine Rolle. Bestimmt würde sie sich mit Zähnen und Fingernägeln auf ihn stürzen wie ein wildes Tier.
Nachdenklich zog er den Elfendolch aus dem Gürtel und betrachtete ihn. Er war dafür, dass er fast so lang wie Revyns Arm war, ausgesprochen leicht. Um den Griff herum waren winzige, geschwungene Zeichen eingraviert. Revyn nahm sie genauer in Augenschein. Ihm fiel auf, dass die Zeichen sich in unregelmäßigen
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