Das Drachentor
vom Drachenrücken und schlich durch das Ufergras. Palagrin folgte ihm leise. Vor ihnen wucherten Wildorchideen mit gelben und weißen Blüten. Braune Schmetterlinge flatterten ihm entgegen, als Revyn die Wildblumen zur Seite strich. Vorsichtig kam er einen Schritt näher. Und entdeckte sie, zusammengekauert im hohen Gras.
Sie zitterte. Ihre Hand hatte sich um die rechte Schulter geschlossen. Getrocknetes Blut klebte an ihren Fingern, am Arm, an der Kleidung. Revyn kniete langsam nieder. Er teilte das Gras wie einen Vorhang.
Plötzlich wandte sie den Kopf und ihre Augen trafen seinen Blick. Er fühlte sich wie erstarrt. Sie fuhr schnell wie ein Pfeil auf - in ihrer rechten Faust blitzte der lange Dolch - und stürzte mit der Klinge voran auf Revyn zu.
Reflexartig bekam er ihre Handgelenke zu fassen und ging von der Wucht ihres Angriffs in die Knie. Doch kaum hatte er sie berührt, schien alle Kraft aus ihr herauszufließen, und ohne einen Laut verlor sie das Bewusstsein. Mit pochenden Schläfen starrte Revyn auf die Elfe, die auf seinem Schoß zusammengesunken war.
Ihr Gesicht war fast noch das eines Kindes. Ihr Haar war ihr über die Stirn gefallen und Revyn sah ihr Ohr. Es lief spitz zu, nur ein kleines bisschen, und doch war es spitz genug, um eindeutig nicht menschlich zu sein. Holzperlen, bemalt mit den seltsamen Runen und Mustern des Elfenvolks, waren in die Spitzen ihrer schulterlangen Haare geflochten. Revyn hatte nie eine ähnliche Haarfarbe an einem Menschen gesehen. Es war ein sanftes Schwarz, das im Licht des Waldes dunkelgrün schimmerte.
In der Nähe erklangen Geräusche. Revyn schrak auf. Auch Palagrin, der näher herangekommen war, wandte den Kopf herum. Durch den Wald drangen Männerstimmen und Waffenklirren.
Revyn spürte, wie ihm der Schreck in alle Glieder fuhr. Die Krieger waren hier. Er blickte noch einmal auf das bewusstlose Mädchen. Vorsichtig zog er ihr den Dolch aus der Faust und schob ihn in seinen Gürtel. Dann hob er sie hoch und ging zu Palagrin. »Hilf mir«, ächzte er. Palagrin streckte ihm den Schwanz entgegen und nahm sie auf seinen Rücken. Revyn ergriff mit einer Hand das Mittelhorn, mit der anderen die bewusstlose Elfe. Ihr Kopf war ihr auf die Brust genickt.
Krallen platschten durch das Wasser. Schwerter schlugen gegen Zweige. »Los!«, flüsterte Revyn.
Palagrin tauchte mit leichten Sprüngen in die Dunkelheit.
Die Schatten der Bäume tanzten über sie hinweg. Palagrin lief so schnell, dass er Zweigen und Ästen nicht mehr ausweichen konnte. Revyn musste sich dicht an ihn ducken, um unverletzt zu bleiben. Die Geräusche der Krieger waren längst hinter ihnen zurückgeblieben, und doch hatte er das Gefühl, sie würden ihm folgen und könnten jeden Augenblick aus dem Dickicht hervorbrechen.
Was tat er bloß? Er wusste es selbst nicht. Von allen vernunftwidrigen Dingen, die er bis jetzt getan hatte, war dies bestimmt das Irrsinnigste. Aber manches tut man, weil man es tun muss.
Er beugte sich tiefer an den Drachen, als ein breiter Ast über ihn hinwegbrauste, und berührte fast das Elfenhaar. Es roch nach Herbstlaub, schwer und süß … Schnell hielt Revyn wieder Abstand. Bei allen Göttern, er ritt doch in die falsche Richtung! Er sollte zu den anderen umkehren und ihnen die Elfe übergeben. Nur so konnten sie außerdem - wenn überhaupt - die Drachen wiederfinden. Wenn sie verloren waren, wäre das eine Katastrophe für Logond - ja, für ganz Haradon!
»Anhalten … Palagrin, stopp!« Schnaufend blieb der Drache stehen. Revyn sah sich um. Die Umrisse der Bäume verschwammen für einen Moment vor seinen Augen. Kurz fürchtete er ohnmächtig zu werden und kämpfte gegen das Fieber an. Allmählich fand er sein Gleichgewicht wieder. Nicht weit entfernt entdeckte er eine niedrige Weide, die der Efeu so überwuchert hatte, dass unter dem Blätterdach eine versteckte Höhle entstanden war. Etwas abseits war ein Weiher. Revyn stieg ab und nahm behutsam das Elfenmädchen in die Arme. Ihre Hand sank gegen seine Brust.
Er musste verrückt sein, vollkommen verrückt, dass er das hier tat. Wenn die Elfe nun erwachte, würde sie die Hand um seine Kehle krallen und ihn erwürgen. Er schloss die Augen erneut, als der Boden unter ihm zu kreisen begann, und trug die Elfe zur Weide, wo er sie auf das welke Laub sinken ließ. Dann stand er wieder auf und lief an den Weiher. Das Gras am Ufer war so dicht, dass Revyn direkt ins Wasser trat. Leise fluchend zog er seinen Fuß
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