Das Drachentor
schüttelte langsam den Kopf. »Ich bin die Meleyis . In mir leben die Geister der Nebel. Niemand gibt mir Befehle. Ich handle nur für die heiligen Stämme und nicht für dich. Ich habe schon zu viel erduldet und getan, um dir deinen Menschen zu bringen. Revyn ist nicht der, den du suchst.«
Sie beobachtete, wie ihre Entschlossenheit Khaleios Furcht ins Gesicht zeichnete. Wie lange hatte sie sich danach gesehnt, ihn so zu sehen! Seit sie die Elfen verlassen hatte, wollte sie nichts mehr als das. Und nun, endlich, unterstand sie seiner Macht nicht mehr und war ihre eigene Herrin, wie es ihr als Meleyis gebührte. Und es war ihr egal, ob Khaleios seine irrsinnigen Visionen erfüllen konnte!
»Das wagst du nicht«, sagte der König der Elfen. »Das wagst du nicht, einen Pakt mit mir zu brechen. Ich kriege den Menschenjungen. Ich werde nicht zulassen, dass die Elfen verschwinden wegen deiner Selbstsucht. Ich kriege ihn, Yelan! Die Prophezeiung des Octaris wird eintreten!«
»Ich werde es verhindern.«
»Versuche es nur. Aber vielleicht will der Junge selbst entscheiden … vielleicht hat er längst entschieden …«
Yelanah biss fest die Zähne zusammen. Das Glänzen in Khaleios’ Augen kam ihr bekannt vor … Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und rannte aus der Hütte. Sein Rufen folgte ihr.
»Ich kriege ihn! Ich kriege den Menschenjungen, das kannst du nicht verhindern, Yelan!«
Sie rannte an den dunklen Bäumen und Hütten vorbei, vorbei an den Laternen und lachenden Elfen, rannte durch das Gras, bis sie das Lagerfeuer erreichte. Elfen tanzten zu den Liedern im Flammenschein, Trommeln, Flöten und Glocken erfüllten die Nacht, die keine echte war. Zwischen den Feiernden lag Revyn im Gras. Kinder saßen rings um ihn und starrten ihn voller Staunen an, Frauen und Männer tuschelten und befühlten seine fremdartigen Kleider. Sein Blick war träge und glasig von den süßen, schweren Getränken.
»Revyn!« Yelanah lief auf ihn zu. Die Elfen machten ihr erschrocken Platz und senkten die Köpfe. »Revyn, komm! Komm schon …«
Verwirrt ließ er sich von ihr auf die Beine ziehen. »Yelanah!«, lallte er.
»Wir gehen.« Sie fasste ihn am Handgelenk und zog ihn eilig hinter sich her. Er ließ seinen Becher fallen und drehte sich verwundert zum Lagerfeuer um, doch sie zwang ihn weiterzugehen. Schwerfällig stolperten sie an den hohen Birken vorbei und den Hang hinauf. Yelanah wusste nicht, welche Zauberei Khaleios angewandt hatte und wie rasch sie wirken würde. Sie mussten sich beeilen und das Elfendorf verlassen, solange Revyn noch konnte.
Plötzlich streckte er die freie Hand aus und zog sie zurück, sodass sie zusammen gegen eine schief gewachsene Birke fielen. »Was ist denn geschehen?«, murmelte er verschwommen.
»Verdammt, das auch noch!« Es war nun wirklich nicht der rechte Augenblick, um ihm zu erklären, dass ein Mensch die Getränke der Elfen nicht anrühren sollte. Yelanah schob ihn weg, als er ihre Haare berührte, und zerrte ihn wieder hinter sich her.
Endlich erreichten sie den Rand des Tals. Mühevoll zog Yelanah sich an den letzten Büschen hinauf. Bestimmt hatte Khaleios den Hang extra steiler und länger werden lassen. Doch dann hatten sie es geschafft. Yelanah rang nach Atem. Revyn taumelte hintendrein.
Und plötzlich war es heller Tag.
Die Welt der Drachen
Vögel zwitscherten. Goldenes Sonnenlicht brach durch die Baumkronen und malte Streifen durch den Wald.
Verdutzt drehte Revyn sich zum Tal zurück. Säuselnd rauschten die hoch gewachsenen Birken im Wind. Die Hütten und die Brücken im Geäst waren verschwunden. Revyn blinzelte. Sein Kopf fühlte sich schwer an.
»Geht es dir jetzt besser?«, fragte Yelanah. »Was ist passiert?« Revyn befühlte verwirrt seinen Kragen und sein Gesicht. Er konnte sich an kaum etwas erinnern. Er hatte bei den Elfen gelegen und getrunken … Dann hatte er Khaleios flüstern gehört, von Schuld und Rache, von Auserwählten und von seinem Schicksal …
Yelanah zog ihn noch ein Stück vom Tal fort, bis der gewohnte Wald sie umgab. Dann lehnte sie sich erschöpft gegen einen Baumstamm. »Khaleios will, dass du für ihn kämpfst. Gegen alle Menschen. Er ist besessen von seinen Visionen und glaubt, ein einzelner Mensch könne die Elfen vor ihrem Untergang retten. Aber das ist vollkommener Irrsinn. Du bist nicht der Menschenjunge, den Khaleios sucht.«
»Was geht hier vor?«, fragte er schroff. Der Boden kreiste noch ein wenig unter seinen Füßen.
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