Das Drachentor
dem er herausgewachsen war. Auch die Reise mit Yelanah und den Drachen würde zu Ende gehen. Revyn würde nicht ewig beim Stamm der Nimorga in der Wildnis bleiben können. Er würde die Erinnerungen verschließen und in ein neues Leben schlüpfen. Mit einem Schlag fühlte er sich ganz leer und durchsichtig, wie ein Geist ohne Identität.
»Revyn?« Yelanah sah ihn an. »Du hast nicht mehr geantwortet. Ist alles in Ordnung? Habe ich dir wehgetan?«
Revyn schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt nicht.«
Nach einem Moment wandte Yelanah sich wieder seiner Verletzung zu. Vorsichtig zupfte sie ein Stück Faden von ihrer Dolchklinge. »Und? Was bedeutet das Zeichen auf deinem Arm?«
Revyn lächelte neckisch. »Ein Drache ist das, siehst du das nicht? Als große Meleyis, Tochter der halbgöttlichen Dar’hana, solltest du das doch erkennen.«
»Du weißt, was ich meine. Das da, was steht da?« Sie pikste ihm auf die Inschrift und Revyn ließ sich wie von einem Speer getroffen zurücksinken. Ein misstrauisches Lächeln lag auf Yelanahs Gesicht.
Revyn wurde ernst und setzte sich wieder hin. »Ist doch egal«, murmelte er. »Ich kann sowieso nicht lesen.« Sie beobachtete aufmerksam sein Profil. Ein leichtes Stechen ging ihm durch die Wunde, als sie ein langes Stück Faden herauszog.
»Ist das so eine Menschensache gewesen? So eine Art … Kriegerzeichen?«
»Das ist lange her.«
Am nächsten Morgen trennten sie sich von der Drachenherde.
»Dort wo wir hingehen, ist kein Ort für die Dar’hana «, erklärte Yelanah, während sie sich von jedem Stammesmitglied verabschiedete. Könnt ihr wieder in die Nebelwelt zurückkehren?
Wir werden in den Wäldern hier warten, solange wir können, antwortete eine ältere Dar’hana, die Hayeha hieß. Wenn es unerträglich wird, kehren wir zurück. Doch der Ruf der Nebel ist stärker denn je … die Gefahr lauert in unserer Welt, der Schmerz und die Ruhelosigkeit in dieser.
Yelanah umarmte ein letztes Mal Isàn, und sie tauschten Worte, die nur sie hören konnten. Auch Revyn nahm von den Drachen Abschied.
Dann machten Yelanah und Revyn sich auf den Weg. Yelanah hatte noch ein paar Celgonnwa in ihrem Korb und trug einen Wasserschlauch mit sich, ansonsten hatten sie keinen Proviant mehr. Doch ihre Reise würde keine zwei Tage dauern.
Der Weg durch das felsige Land war anfangs leichter, als Revyn angenommen hatte. Sie folgten den Hügelkämmen und wanderten durch tiefe Täler, doch die Berge waren hier sanft und keine Klippen hinderten sie am Vorankommen.
Die Nacht über dem Felsland war tief und schwarz. Nie hatte Revyn so viel vom Himmel gesehen. Schier endlos erstreckte er sich in alle Richtungen und vereinte sich in der Dunkelheit mit dem Land. Revyn fühlte sich, als sei alles Himmel geworden, als befänden auch Yelanah und er sich darin. Die Sterne blickten auf ihn nieder wie ein stummes Publikum. Als warteten sie darauf, dass er sie unterhielt. Und wie viele Sterne es waren!
Denkst du nicht auch, dass sie uns beobachten?, fragte er Yelanah.
Sie lag ganz still neben ihm. Natürlich, Revyn. Die Geister des Lebens und des Todes begleiten alle Wesen.
Revyn dachte darüber nach. Eine leichte Traurigkeit durchglitt ihn. Wenn sie da sind, dann ist das aber auch alles, was sie tun. Sie beschützen uns nicht, wie die Menschen glauben. Sie haben keine Macht.
Vielleicht helfen sie uns nicht direkt … Aber sie ermutigen uns, dass wir uns selbst helfen. Und gegenseitig.
Revyn atmete tief ein. Er fühlte sich so leicht und schwer, und alle Gefühle schwirrten in ihm herum, dass er gar nicht mehr zwischen ihnen unterscheiden konnte. Ich bin so froh, mit dir reden zu können - so, auf diese Weise, sagte er leise. Yelanah drehte ihm das Gesicht zu, und er war sicher, dass sie verstand, was er meinte.
Je weiter sie am nächsten Tag kamen, umso beschwerlicher wurde ihr Weg. Sie hatten mehr als eine Felswand hinaufklettern müssen und waren von Schrammen übersät, ehe sie das erste Dorf entdeckten. Die Hütten waren direkt an die Felsen gebaut und sahen aus der Ferne wie Schwalbennester aus.
»Elfendörfer«, erklärte Yelanah. »Trotzdem sollten wir sie meiden. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Als sie am zweiten und dritten Elfendorf vorbeikamen, entdeckten sie endlich eine kleine Straße, kaum mehr als ein Trampelpfad, der sich in verschlungenen Kurven durch das Land schlängelte.
Zu Mittag sahen sie die erste Menschenstadt. Sie thronte in der Ferne auf einem
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