Das Drachentor
schütteten sie alle übrig gebliebenen Speisen in einen Korb, den Yelanah unter dem Arm trug. Die anderen Körbe ließen sie einfach stehen.
Bald tauchten die Drachen auf und schlossen sich ihnen an. Der Tag brach an. Bis in die Ferne setzten sich die schlanken Fichten, Zedern und Tannen fort und der tiefe Moos- und Nadelboden dämpfte ihre Schritte. Revyn erzählte Yelanah von seinem Traum, wobei er Prinzessin Ardhes ausließ. Yelanah lächelte unbestimmt, und Revyn war nicht sicher, was sie davon hielt. Er bereute schon, überhaupt damit angefangen zu haben, da sagte sie: »Vielleicht hat es mit deinem Traum eine besondere Bewandtnis, wenn du ihn schon so oft hattest. Wir können den Propheten fragen, ob er ihn deuten will. Ich würde es gerne wissen.«
Mittags legten sie eine Rast ein und ritten danach auf Isàn und Palagrin, bis der Abend kam. Sie aßen von den Elfenspeisen und schliefen wie in den Nächten zuvor unter freiem Himmel.
In den nächsten Tagen standen jeden Morgen kleine Schälchen und Körbe mit Gaben von den Elfen bereit. Manchmal gab es Früchte oder Fleisch, manchmal Quellwasser in leichten Lederschläuchen oder geheimnisvolle Getränke, bei denen Yelanah Revyn abriet, sie zu probieren.
»Menschen vertragen sie nicht«, erklärte sie, während sie selbst trank. »So wie wir Elfen ganz schwach von dem werden, was ihr trinkt, dieses … Alkahal oder so ähnlich.«
»Alkohol«, meinte Revyn. »Davon werden die meisten Menschen auch schwach.«
Allmählich lernte Revyn die Drachen besser kennen. Der Stamm der Nimorga bestand aus zwölf Mitgliedern. Die älteste Dar’hana war über fünfzig Jahre alt. Sie sprachen wenig in ihren Gedanken, doch wenn sie es taten, waren ihre Worte begleitet von Gefühlen, Bildern und Untertönen, die Revyn überwältigten. Hätte er einem Menschen erklären müssen, wie die Drachen sich verständigten, hätte er es mit Sprache allein nicht gekonnt - er hätte Farben und Melodien dazu gebraucht. Auch Palagrin, so schien es Revyn, begann, sich mehr und mehr wie sie auszudrücken, als lerne er etwas längst Vergessenes wieder. Es war zugleich schön und entsetzlich zu erfahren, was für Wesen die Drachen in Wirklichkeit waren. Wenn Revyn daran dachte, wie sie in Logond behandelt wurden - wie er die Drachen behandelt hatte -, dann wurde ihm schlecht vor Schuldgefühlen. Und er begann, sich zu fragen, ob nicht womöglich alle Tiere wie die Drachen ein Bewusstsein in sich bargen, das dem der Menschen nicht unähnlich war …
Am achten Tag erreichten sie den Rand des Waldes. Es wurde schon dunkel, und der Himmel, der den ganzen Tag über bewölkt gewesen war, öffnete sich zum Sonnenuntergang wie eine riesige Blüte. Mit angehaltenem Atem betrachtete Revyn das Land, das vor ihnen lag. Unendlich weit erstreckten sich die zerklüfteten Felsen und schroffen Felsgipfel, bis sie im glühenden Rot des Horizonts verblassten. Obwohl Revyn nie das Meer gesehen hatte, dachte er, dass das felsige Land wie ein Ozean aussah, ein Ozean, der mitten in einer stürmischen Nacht zu Stein erstarrt war.
Nahe am Waldrand machten sie Rast und zündeten ein Lagerfeuer an. Als es dunkel war, zogen Wolken über den Himmel, sodass das Licht der Sterne kam und verschwand, als entfachte und löschte jemand eine Kolonie aus Kerzen über ihnen. Im Schein des Lagerfeuers löste Yelanah Revyns Verband und zog ihm die Nähte. Die Wunde war inzwischen gut verheilt. Es würde keine große Narbe bleiben, nur die Tätowierung darüber war leicht verzerrt.
»Was steht da?«, fragte Yelanah, während sie vorsichtig mit ihrer Dolchspitze ein Stück Faden herauszog.
Revyn blickte auf die Tätowierung. Als er an seine Abende in Logonds Vergnügungsvierteln dachte, überkam ihn Scham. Wie kindisch er sich damals benommen hatte! Gleichzeitig fragte er sich, was Capras, Twit und Jurak wohl gerade taten. Und wo sie wohl waren … Er konnte sich kaum vorstellen, dass die drei in diesem Augenblick ihr Leben wie gewohnt weiterführten, in das auch er gehörte … oder? Hatte er je das Leben eines Drachenkriegers führen sollen? Es schien ihm so lange her, dass er zu Logond, zu den Drachenkriegern und ihrem Krieg gehört hatte, dass es genauso gut ein anderes Leben hätte sein können. Dabei waren ja nur ein paar Tage seitdem vergangen. Genauso wie damals, als er sein Dorf verlassen hatte, um nach Logond zu reisen …
Seine Vergangenheit war einfach hinter ihm zurückgeblieben wie ein Kleidungsstück, aus
Weitere Kostenlose Bücher