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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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nicht«, sagte Revyn misstrauisch.
    »Zur rechten Zeit wirst du begreifen. Ich kann dir nur dieses eine sagen: Du wirst eine Rolle im Geschehen der Welt spielen. Ob du willst oder nicht.«
    Plötzlich meldete sich Yelanah zu Wort. Hoffnungsvoll trat sie vor. »Ich glaube, ich weiß, welche Rolle Revyn spielen wird! Die Dar’ hana - er ist …«
    Octaris senkte den Blick und Yelanah verstummte. »Willst du hören, was die Zukunft den Dar’ hana bringt, letzte Meleyis ?« Yelanah sammelte ihren Mut, dann nickte sie. Fast schien es, als betrübe ihr Entschluss den König.
    »Dann höre. Die Dar’hana gehören in die Nebelwelt. Sie sind halb sterblich und halb göttlich, halb wirklich und halb Traum. Sie gehören in eine Welt des Zwielichts, wo Realität und Zauber miteinander verschmelzen. Doch das Zeitalter der Menschen steht uns bevor. In der Zukunft wird es keinen Platz geben für unsere Magie.« Alle waren verstummt. Nur das Feuer knisterte leise. Yelanahs Gesicht war vollkommen unbewegt.
    »Es tut mir leid«, sagte Octaris.
    Yelanah starrte ihn aus leeren Augen an. »Ich will wissen, wieso sie verschwinden. Woher kommt der Ruf, der sie in den Tod treibt? Manche von ihnen sterben im Schlaf, und sobald das erste Tageslicht sie berührt, zerfallen sie zu Staub. Andere verlieren den Verstand. Und noch andere stürzen in Schluchten, in Feuer … nie bleibt eine Leiche zurück.«
    »Der Ruf, der sich in ihre Köpfe geschlichen hat und den auch du spürst, Yelanah, stammt aus den tiefsten Nebeln. Er hallt durch alle Ebenen der Wirklichkeit. Er wurde ausgesandt von den Hütern dieser letzten Orte, verborgen hinter weißem Dunst, durch den kein Wesen aus unserer Welt gehen kann.«
    »Wer sind diese Hüter?« Der Schein des Kaminfeuers leuchtete in ihren verzweifelten rubinfarbenen Augen.
    »Es sind keine Wesen aus Fleisch und Blut. Genauso wie die Götter der Erde, der Sonne und des Mondes keine Lebewesen sind. Sie sind Geister, die den Lauf der Dinge bestimmen und doch weder Gedanken noch ein eigenes Herz besitzen. Der Ruf, dem die Dar’hana folgen, ist ein Ruf wie der, der die Blätter der Bäume im Herbst färbt. Ein Ruf wie der, der uns alt werden lässt. Ein Ruf wie der, der uns sagt, dass wir sterben müssen … Die Zeit der alten Völker ist vorüber, das ist der Ruf, den die Geister des Nebels den Dar’ hana schicken. Unsere Tage sind das Ende eines Sommers, dessen letzte Blumenknospe in kalter Herbstnacht erfriert -«
    »Nein!«
    Octaris blickte sie überrascht an. Alt wirkte er plötzlich, als habe er schon viele gesehen, die vor ihm gestanden hatten wie Yelanah jetzt, mit zitternden Fäusten und einer eisernen Miene, hinter der nichts als Angst lag.
    »Nein«, wiederholte sie. »Bitte! Es muss einen Ausweg geben. Wieso verschwinden die Dar’ hana ausgerechnet jetzt, wieso …« Yelanah verstummte. Die Antwort auf ihre Frage war bereits gegeben worden. Aber die konnte sie nicht hinnehmen, niemals!
    »Die Dar’hana verschwinden nicht einfach, weil ihre Zeit um ist«, sagte sie fest. »Sie verschwinden, weil sie nicht ertragen, gefangen gehalten zu werden. Von den Menschen!«
    »Ja«, murmelte Octaris. »Die Menschen tun viele Dinge. Sie haben vergessen, dass Nebel weder Luft noch Wasser ist …«
    »Aber wenn die Knechtschaft der Dar’hana ein Ende findet, wenn sie ihre Freiheit wiederhaben und in ihre Welt zurückkehren, dann wird alles, wie es war!«, rief Yelanah. »Der Ruf der Unwirklichkeit holt die Drachen vielleicht nur deshalb in den Tod, um sie zu schützen - vor dem Leben, das die Menschen ihnen aufzwingen. Nebel kann nicht wie Wasser gefangen werden, sonst löst er sich in Luft auf!« Sie schluckte trocken. »Dann müssen alle Dar’hana aus den Menschenstädten befreit werden. Sie müssen sich tiefer in den Wäldern verstecken, um nie wieder gefangen zu werden, und …«
    »Man muss den Leuten sagen, dass sie die Drachen nicht mehr halten dürfen«, fügte Revyn langsam hinzu. Aber er wusste, dass die Menschen nie aufhören würden, Drachen für Geld zu fangen und für Brot zu verkaufen, für den Krieg zu zähmen … für einen Sieg zu schlachten.
    »Octaris«, hob er an, »was Ihr uns erzählt habt, lässt mich zweifeln«, Revyn atmete tief aus, »und wenn diese Welt nur noch Qual und Gefangenschaft für die Drachen bedeutet - wieso sollten sie dann nicht in die Unwirklichkeit fliehen?«
    Yelanah starrte ihn fassungslos an. »Und wie sollen sie dorthin gelangen?«, fragte sie herausfordernd.

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