Das Drachentor
war aus seinem Hemd geschlüpft, der andere hatte die Hose abgelegt und stand nur noch im zerschlissenen Waffenrock da. Sie zogen Revyn die nasse Uniform vom Leib, die er so lange getragen hatte, dass sie ihm vertraut wie eine zweite Haut war, und hüllten ihn in die trockenen Sachen. In den fremden Kleidern, die ihm ein wenig zu groß waren, barfuß und mit tropfenden Zöpfen, stand er vor Alasar. Der Führer der Höhlenkinder hatte sich seinen Fellumhang wieder umgehängt und nahm Revyns Uniform.
Plötzlich fiel etwas aus der Innentasche des schwarzen Harnisches und schlug klappernd zu Boden. Überrascht hob Alasar den Gegenstand auf: Es war der goldene Armreif, den Prinzessin Ardhes Revyn vor so langer Zeit geschenkt hatte. Revyn starrte das kostbare Schmuckstück ebenso verwundert an wie Alasar. Ihm war, als sei der Armreif einer vergessenen Welt entsprungen, nur um an diesem Ort zu landen, wohin er ebenso wenig gehörte wie Revyn.
»Das ist schön«, bemerkte Alasar und hielt den Armreif ins Licht der Fackel. Dann blickte er Revyn an. »Willst du mir nun helfen?«
Revyn konnte nichts erwidern. Alasar wartete. Schließlich schob er den Armreif in seine Tasche. »Wenn du mir nicht antwortest, schlage ich dir deinen haradonischen Kopf ab.«
Revyn rang sich zu einer Antwort durch: »Nein.« Alasar kam näher, denn Revyn hatte mehr gehaucht als gesprochen. »Ich sagte Nein. Ich werde nie wieder einen Drachen zähmen. Egal für wen. Egal für welchen Krieg.«
»Nie wieder? Das heißt, du hast es schon einmal getan.« Alasar wandte sich an die beiden jungen Männer und deutete mit einer knappen Geste auf Revyn. Sofort packten sie ihn an den Armen und drehten sie herum, sodass Revyn sich mit einem Stöhnen vornüberbeugen musste. Im selben Augenblick traf ihn eine Faust in den Bauch. Revyn stieß einen verblüfften Laut aus. Als ihn der zweite Schlag im Rücken traf, war er besser vorbereitet.
Mit zusammengebissenen Zähnen sank er auf die Knie. Einer der Männer trat ihm in die Seite und er fiel zu Boden. Weiße Punkte tanzten vor seinen Augen. Er spannte den Körper an. Wieder wurde ihm gegen den Rücken getreten, dann in den Bauch. Nach sechs Schlägen hörte er auf zu zählen. Er ließ den Hagel von Fäusten und Tritten über sich ergehen und verbarg das Gesicht zwischen den Armen. »Passt auf, dass ihr ihm noch nichts brecht. Schlagt auf die Beine und Arme!« Er grub die Zähne in den Stoff seines Hemdes, bis er an den Zöpfen gepackt und hochgezerrt wurde. Verschwommen tauchte Alasar vor ihm auf, das Gesicht reglos und leer.
»Gib lieber jetzt auf. Sonst kommen viele Schmerzen.« Ein Schlag traf Revyn ins Gesicht. Sein Kopf flog zur Seite. Die Haut fühlte sich eiskalt an und war zum Reißen gespannt. Dann verwandelte die Kälte sich in Hitze und sein ganzes Gesicht schien zu glühen. Blut kroch ihm über die Oberlippe.
»Stellst du dich stumm? Willst du nicht sprechen? Hast du Angst vor deiner eigenen Stimme, Haradone?« Revyn keuchte. Mit zittrigen Fingern tastete er nach seiner blutenden Nase. Sie war taub; er fühlte nicht, wie er sie berührte.
»Willst du dich waschen? Da hast du Wasser …« Alasar stemmte die Holzwanne hoch und kippte das Wasser aus. Eine eisige Welle spülte über Revyn hinweg. Er sank zurück, verschluckte sich und hustete.
»Hilf uns doch, Haradone.« Alasar atmete schwer vor Anstrengung. Behutsam stellte er die schwere Wanne wieder auf den Boden. »Wenn du uns nicht helfen kannst, dann müssen wir dich loswerden. Wir müssen dich töten. Willst du das?«
Revyn versuchte, sich vom nassen Boden hochzustemmen. Wasser und Blut rannen ihm über das Gesicht. »Bitte … lasst mich gehen.«
»Ich werde ein paar Tage weg sein. So lange kannst du überlegen, ob du sterben willst. Wenn ich wiederkomme, bringe ich dir Drachen mit.«
Revyn rang nach Atem. »Bastard!« Als ihm die nächste Faust ins Gesicht donnerte, verlor Revyn das Bewusstsein. Sein Kopf fiel hart auf den Boden. Der Schmerz pochte ihm durch den Körper, heiß und wogend, dann verlor er sich in der Finsternis wie ein fliehender Schatten.
Yelanah pflegte ihn gesund, wie sie ihn schon einmal gesund gepflegt hatte. Er spürte ihre Arme, wenn sie seinen Kopf auf dem Schoß hielt. Er hörte sie leise Lieder summen. Lieder aus dem Elfenvolk, geheimnisvoll und in unverständlichen, betörenden Silben; aber auch Lieder aus seiner Kindheit, die ihm das Rauschen der Gräser und den Geruch des kleinen Herdfeuers
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